Angst auf der Autobahn
jetzt war er gar nicht mehr zu sehen.
Tim lauerte in einer dunklen
Ecke des Hinterhofs, behielt den blauen Mercedes im Auge und ebenso die Tür zu
Spelters Behausung.
Er wohnte parterre, wie der
TKKG-Häuptling am Nachmittag beobachtet hatte: offenbar eine kleine Bleibe, von
der Art ,Wohn-Klo mit Kochnische’.
Zwei Fenster, hofseitig, waren
mit Vorhängen blickdicht gemacht. Hinter einem brannte Licht. Manchmal gewahrte
Tim die Umrisse einer Gestalt.
Dann, kurz vor 21 Uhr, erlosch
das Licht; und Spelter kam auf den Hof.
Tim zog sich noch tiefer in
seine Ecke zurück, stieß versehentlich an sein Bike und hielt erschrocken inne.
Aber es entstand kein Laut.
Trotzdem — Spelter blieb
stehen, schien zu lauschen und hielt den Kopf etwas schief.
Tims Walkie-Gerät steckte
hinten im Gürtel der Jeans. Tim trug einen leichten, nachtblauen Sweater über
dem T-Shirt, das reinweiß war und aufgefallen wäre — wegen seiner Leuchtkraft
im Dunkeln.
Aber tarnmäßig angezogen,
fühlte Tim sich unsichtbar.
Spelter schien beruhigt zu sein
und stieg in den Wagen.
Schiet! dachte Tim. Jetzt ist
wenig Verkehr auf den Kampfbahnen. Jetzt hängt er mich ab.
Spelter fuhr vom Hof. Tim
folgte. Der Haftentlassene schien es nicht eilig zu haben. Tim — der jeden
parkenden Wagen als Deckung nutzte — blieb dran am Objekt seiner Neugier.
Wohin wollte der Kerl? Kneipe?
Glockner-Adresse? Eine alte Freundin besuchen? Oder nur eine Spazierfahrt?
Dann ging’s über eine lange
Straße ohne Ampel. Die Fahrbahn war fast leer. Der Mercedes beschleunigte. Und
gerade als Tim abgehängt wurde, ging ihm ein Licht auf — checkte er, vermutend,
wohin Spelter wollte.
Tim nahm eine Abkürzung,
hechelte durch zwei Kfz-gesperrte Gassen, durchquerte einen Park, wo Radeln
verboten war, schreckte ein knutschendes Liebespaar auf, was ihm Flüche und
eine nachgeworfene Flasche einbrachte, und gelangte in die Mitterrahmer Straße.
Eben hielt der Mercedes vor Nr.
21.
Tim stellte sein Rennrad in
einen Hauseingang und pirschte dicht an der Häuserzeile entlang.
Spelter war ausgestiegen, hatte
geklingelt und stand vor der Haustür.
Tim duckte sich hinter eine auf
der Raststütze dösende Harley, die wuchtig genug war, um dem hochgewachsenen
Boy als Deckung zu dienen.
Frau Willert war an die Tür
gekommen, hatte aber noch nicht geöffnet. Sie fragte.
„Ich bin’s nochmal“, erwiderte
Spelter mit seiner ausdruckslosen Stimme, „Horst Spelter. Ich war nachmittags
schon da und habe die Kassette geholt.“
Er sprach gerade laut genug,
daß es die Frau hinter der Tür verstehen konnte.
Tim mußte die Ohren spitzen.
Willerts Mutter öffnete. Die
Diele war erleuchtet. Die Frau stemmte eine Hand in die Hüfte und hatte auch
jetzt eine Zigarette im Mund. Die Stimme klang ungehalten.
„Was ist denn nun noch? Weiter
habe ich nichts.“
„Tut mir leid, daß ich Sie
belästige, Frau Willert.“ Er bemühte sich, freundlich zu klingen. „Aber es geht
nur darum, daß Karsten...“
„Erinnern Sie mich nicht an
meinen Sohn“, wurde er unterbrochen. „Ich bin entsetzt. Nicht nur, daß er
ausbricht! letzt hat er auch noch den Jungen vom Bürgermeister entführt.“
„Ach, das glaube ich nicht.“
„Es kam doch im Fernsehen. Und
im Radio. Und morgen werden es die Zeitungen bringen. Mit vollem Namen. Wie
stehe ich da vor den Nachbarn! Und ich habe mich immer bemüht, einen
anständigen Menschen aus ihm zu machen. Aber Karsten schlägt seinem Vater nach.
Auch Alfons hat nichts getaugt.“
„Tut mir leid für Sie. Doch ich
sehe das anders. Es liegt am System. Am Staat. An den Politikern. An den
Industrie-Nationen. An Europa. Der einzelne kann sich nicht wehren. Auch mir
wurde Unrecht getan. Auch ich bin ein Opfer.“
„Ach ja?“
„Aber ich will nicht klagen,
Frau Willert, ich will Sie nur um einen Gefallen bitten.“
„Wenn es sein muß.“
„Karsten weiß, wann meine
Strafe endet, weiß also, daß ich jetzt entlassen wurde. Deshalb könnte es
durchaus sein, daß er sich, entgegen Ihrer Erwartung, Frau Willert, doch bei
Ihnen meldet. Natürlich wird er nicht hier auftauchen. Aber vielleicht ruft er
an, weil er sich sagt, daß er nur über Sie mit mir Kontakt aufnehmen kann. Denn
meine neue Adresse kennt er natürlich nicht. Und bei der Polizei kann er nicht
nachfragen, nicht wahr?“
„Ja, und?“
„Ich habe Ihnen hier meine
Telefonnummer aufgeschrieben.“
Tim sah, wie er der Frau einen
Zettel reichte.
„Können Sie das lesen,
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