Angst (German Edition)
nichts anderes sagen, sagte Frau Kröger. Ich verstehe das nicht, sagte ich. Sie sah mich schweigend an. Ein Mann kam herein und sagte, dass es gleich losgehe. Ich komme, sagte sie und stand auf. Bitte, noch eine Minute, sagte ich. Sie setzte sich wieder. Sagen Sie mir, was sollen wir tun, fragte ich. Versuchen Sie, bei Gericht eine «Go-Order» zu erwirken, sagte Frau Kröger. Was ist das, wollte ich wissen. Eine Verfügung, dass Herr Tiberius zu Ihrer Frau und Ihren Kindern einen Abstand von mindestens fünfzig Metern halten muss, sagte Frau Kröger. Was ist mit dem Vorwurf des Kindesmissbrauchs, fragte ich. Es könnte sein, dass eine psychologische Untersuchung auf Ihre Kinder zukommt, hörte ich. Frau Kröger war insgesamt wortkarg, in ihrem Gesicht sah ich keine Regung, keine Parteinahme, nicht einmal Sympathie. Ich hatte nicht den Eindruck, dass ermittelt würde, weder gegen Herrn Tiberius noch gegen uns. Die Kladde, die während des Gesprächs ungeöffnet blieb, würde wohl dünn bleiben, dachte ich, als ich mich verabschiedete. Gleichwohl ging ich mit einem Gefühl, das so schlecht nicht war. Das Wort «Go-Order» machte mir Hoffnung. Wenn Herr Tiberius mindestens fünfzig Meter Abstand zu meiner Frau und meinen Kindern halten musste, konnte er nicht in seiner Wohnung bleiben. Er würde ausziehen müssen, wir wären ihn los. Ich rief unsere Anwältin an, sie war in einer Sitzung und rief zwei Stunden später zurück. An eine «Go-Order» habe sie auch schon gedacht, sagte sie, aber sie glaube nicht, dass sich ein Gericht finden würde, das sie auf diesen Fall anwende. Aber warum denn nicht, fragte ich mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme. Weil er in Ihrem Haus wohnt, und kein Gericht wird ihn von dort vertreiben, sagte sie. Versuchen Sie es trotzdem, bat ich. Ja, sagte sie.
Ich machte mir zum Abendessen Mozzarella mit Tomaten, dazu schnitt ich Basilikum, das in einem Topf im Garten wuchs. Danach rief ich meine Frau an und erzählte ihr, was ich an diesem Tag gemacht hatte und wie der Stand war. Sie musste danach den Eindruck haben, dass der Stand so schlecht nicht war, ich hatte die Lage beschönigt und aus der «Go-Order» eine echte Hoffnung gemacht, also den Einwand unserer Anwältin nicht zitiert. Ich erwähnte ja schon, dass eine Aufführung begonnen hatte, ein Schauspiel, bei dem die Wahrheit nicht leicht zu erkennen war. Ich sagte, dass sie mir fehle, und das war die Wahrheit. Du fehlst mir auch, sagte sie, dann: Wir schaffen das, oder? Ja, sagte ich, du und ich, wir schaffen das. Wir waren ein wenig verlegen, vielleicht weil wir uns seit einer Weile keine liebevollen Sätze mehr gesagt hatten. Dann sprach ich mit den Kindern und hörte fröhliche Berichte von einer Dampferfahrt auf dem Bodensee.
Am Abend schaute ich mir ein Fußballspiel im Fernsehen an, machte einen Patrouillengang und legte mich um halb elf ins Bett. Ich sah dann immer wieder auf den Wecker, die letzte Zeit, die ich behalten habe, war drei Uhr. So lange lag ich mindestens wach. Ich fragte mich, warum es wieder so sein musste, dass eine Treppe unter mir eine Bedrohung lauerte, wie schon in der Doppelhaushälfte meiner Eltern in Frohnau. Ich will das nicht vergleichen, ich will nicht meinen Vater mit Herrn Tiberius vergleichen, und doch war dies eine Form der Wiederkehr. Ich fragte mich, warum das so sein musste, warum ich? Aber das ist eine müßige Frage. Ich hatte keine Angst, so wie vor meinem Vater damals, und trotzdem lag ich mit dem Gefühl einer nahen Gefahr im Bett. Das Thema, das mich nun umtrieb, hieß Männlichkeit. Ich war mir nicht mehr sicher, dass mir der Staat helfen würde, es konnte sein, dass ich es alleine schaffen musste, Herrn Tiberius zu vertreiben und für die Sicherheit meiner Familie zu sorgen.
Ich erinnerte mich ausführlich und in ewigen Spiralen an einen Heiligen Abend, den wir vor einigen Jahren im größeren Familienkreis gefeiert hatten. Meine Eltern waren da, Rebeccas Mutter, deren Mutter, also die Urgroßmutter meiner Kinder, zudem Cornelia mit ihrem neuen Freund Mircea. Mein kleiner Bruder war nicht da, er kam nur selten zu Familienfeiern. Diesmal hatte ich eine Absage aus Minneapolis-St. Paul bekommen. Er habe einen Auftrag, der vieles ändern könne, sagte er mir am Telefon, er wolle mir das demnächst mailen, aber es kam keine Mail.
Die Ehe meiner Schwester war vor einem halben Jahr zerbrochen, seit zwei Monaten hatte sie diesen Freund, einen Rumänen aus Bukarest, der in Berlin
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