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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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Haare zurückgekämmt und mit einem Band gesichert, das Sakko ihres Hosenanzugs hing über ihrem Stuhl, einem Büroklassiker von Charles und Ray Eames. Möbel von USM in Schwarz, ein Stück mit Bedacht in Rot, ein Glastisch, ein Leopard von Dokoupil an der Wand, ein Korkdruck. Schließlich sagte die Anwältin einen Satz, unter dem meine Zuversicht zerbrach. Herr Tiefenthaler, leider leben wir in einem Rechtsstaat, sagte sie. Was heißt denn hier leider, fragte meine Frau eisig. Ich dachte immer, dass wir zum Glück in einem Rechtsstaat leben, ergänzte ich. Die Anwältin schaute uns ein wenig mitleidig an. Für Sie ist das im Moment nicht besonders glücklich, sagte sie kühl, denn ich fürchte, dass sich Ihre Erwartung, Ihre berechtigte Erwartung, dass dieser Mensch rasch aus Ihrer Nähe zu schaffen ist, so leicht nicht erfüllen lässt. Wir können ihn doch wohl verklagen, sagte ich naiv. Natürlich könnten wir ihn verklagen, sagte die Anwältin und zählte Paragraphen auf, und natürlich würde sie das gleich in die Wege leiten, aber das hieße nicht, dass Tiberius seine Wohnung verlassen müsse. Da könne sie uns leider keine Hoffnung machen, in seiner Wohnung sitze man ziemlich sicher in diesem Staat, besonders wenn das Sozialamt die Wohnung bezahle, wie zu vermuten sei angesichts der Untätigkeit des Tiberius. Sie könne uns da Geschichten erzählen von ihren eigenen Wohnungen, fürchterlich. Mir war unangenehm, dass unser Fall durch ihre verächtlichen Worte eine soziale Dimension bekam, so hatte ich es bislang nicht gesehen, und so wollte ich es nicht sehen. Meine Frau sagte, dass in einem Rechtsstaat zu leben nach ihrem Verständnis heiße, dass die, die im Recht sind, recht bekommen. Es gab eine längere Diskussion zwischen den beiden Frauen, zunehmend spitz geführt, aber das führte natürlich zu nichts. Mein Unbehagen wuchs, ich war auf Wohlverhalten geeicht und hatte die blöde Angst, dass der Anwältin doch noch Zweifel an unserer Unschuld kommen könnten, wenn wir sie verärgerten. Ich griff ein mit den Sätzen, dass wir uns freuen würden, wenn sie alle Rechtsmittel, wirklich alle, ausschöpfen würde. Das sagte die Anwältin zu. Sie ließ die Briefe kopieren, wir unterschrieben eine Vollmacht, dann brachte sie uns zur Tür. Wenn wir uns nicht sicher fühlten, könne sie uns eine Waffe besorgen, sagte sie beim Abschied. Ich schüttelte den Kopf, wir gingen. Im Aufzug schrie meine Frau. Ich weiß nicht mehr, was sie geschrien hat, aber es dauerte vom fünften Stock bis zum Erdgeschoss. Unten weinte sie. Ich nahm sie in den Arm, war aber nicht in der Lage, auch nur einen Funken von Zuversicht zu vermitteln. Ich bin ein Mann des Rechtsstaats, das war ich immer, ich glaube, dass es ihn gibt, damit Leute wie ich, die Friedlichen, in Frieden leben können, und sollte ihr Frieden gestört werden, stellt ihn dieser Rechtsstaat alsbald wieder her. Dieses Vertrauen war im Büro der Anwältin zerschellt, ausgerechnet, aber nur für ein paar Minuten. Schon im Auto sagte ich, der Optimist, Sohn meiner Mutter, dass ich der Anwältin nicht glaube. Der Rechtsstaat wird uns helfen, sagte ich. Wir fuhren zu einem Geschäft, das auf Selbstverteidigung spezialisiert ist, und kauften für meine Frau ein Pfefferspray.
    Auf dem Sims im Hausflur lag wieder ein Brief, diesmal ein dünner. In dem Umschlag war nur ein Bogen Papier, und darauf stand nur ein Satz: In meinem letzten Brief habe ich vergessen zu erwähnen, dass ich Sie angezeigt habe. Dieter Tiberius.
    Wir berieten in der Küche, was wir nun tun sollten, und beschlossen am Ende, dass meine Frau mit den Kindern für eine Weile zu ihrer Mutter nach Lindau fahren würde. Während sie Paul und Fee aus dem Kinderladen holte, buchte ich im Internet einen Flug nach Friedrichshafen für den folgenden Morgen. Dann googelte und recherchierte ich die Rechtslage, las mich fest bei Begriffen wie Verleumdung oder Stalking, kam aber nicht zu Erkenntnissen, die meinen Optimismus hätten stützen können. Damals gab es das Anti-Stalking-Gesetz noch nicht, und ich weiß nicht, ob es uns geholfen hätte. So ein richtiger Stalker war Herr Tiberius wohl nicht, auch wenn wir ihn oft «unseren Stalker» genannt haben und nennen.
    Am Nachmittag spielte ich mit meinen Kindern, ich bin ein großer Lego-Bauer, was vielleicht nicht verwundert bei einem Architekten, aber aus Lego baue ich nicht nur Häuser, sondern auch Autos und Schiffe. Paul und Fee redeten die ganze Zeit, wie sie das immer

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