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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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machen, aber ich habe fast nichts davon gehört, meine Gedanken kreisten um Herrn Tiberius und seinen Anschlag auf unsere Familie, und ich war müde, hatte zwei Nächte hintereinander nicht geschlafen. Einmal hörte ich die Toilettenspülung im Souterrain. Hass.
    Am Abend, nachdem die Kinder im Bett waren, machte ich um neun und um elf Uhr einen Rundgang ums Haus, nervös, angespannt, weil ich damit rechnen musste, dass Herr Tiberius plötzlich vor mir steht. Ich hielt oft inne und lauschte, schätzte die Zeit ab, die ich brauchen würde, um zu dem Holzstapel neben dem Garagentor zu springen und einen der Knüppel zu greifen. Die Leute, die unter dem Dach wohnen, haben einen Kamin.
    Nachdem ich meine Familie am nächsten Morgen zum Flughafen gebracht hatte, begann für mich die tätige Phase, wie ich das heute im Rückblick nenne. Man muss Geschichte einteilen, sonst verliert man den Überblick. Ich rief beim Jugendamt von Steglitz-Zehlendorf an und ließ mich mit dem Leiter verbinden. Ich sagte ihm, dass wir beschuldigt würden, unsere Kinder sexuell missbraucht zu haben, dass dies aber nicht wahr sei, ganz bestimmt nicht, und er jederzeit kommen könne, um unsere Kinder zu begutachten. Wer sind Sie denn, fragte der Leiter des Jugendamts. Ich sagte noch einmal unseren Namen, schilderte die Lage und beteuerte erneut unsere Unschuld. Es ist uns nicht angenehm, aber unsere Kinder stehen zu Ihrer Verfügung, sagte ich mit fester Stimme. Ich hatte von Tests gelesen, die man mit Kindern macht, um festzustellen, ob sie missbraucht wurden. Man ließ sie unter anderem malen. Ich weiß nicht, was man nicht malen darf, um als «nicht missbraucht» durch einen Test zu kommen, aber ich war mir sicher, dass meine Kinder das Richtige malen würden, da sie nicht missbraucht worden sind. Das heißt, ich habe mir auch vorgestellt, dass sie zufällig etwas Falsches malen würden, einen Baum vielleicht, in dem ein Psychologe einen Phallus erkennt, aber diesen Gedanken habe ich abgebrochen, weil er zu schrecklich war. Der Leiter des Jugendamts sagte, dass ihn noch nie jemand angerufen habe, um von sich aus zu sagen, dass er seine Kinder nicht missbraucht habe. Er werde der Sache nachgehen und sich später melden. Mir wurde da zum ersten Mal leise klar, dass wir auf dem Weg in eine Hysterie waren, aber das hat nichts daran geändert, dass wir diesen Weg gegangen sind. Wir haben all unser Tun damit gerechtfertigt, dass wir verhindern mussten, dass sich Herr Tiberius an unseren Kindern vergeht. Da konnte man nicht zu viel tun, nur zu wenig. Also war ich ganz zufrieden mit meinem Anruf beim Jugendamt. Später hat sich ein Sachbearbeiter gemeldet und gesagt, «beim LKA» werde «die Sache» als Anschuldigung «gegen Unbekannt» geführt. Ich verstand nicht, was das hieß, und er konnte es mir auch nicht erklären. Warum unbekannt? Herr Tiberius hatte doch wohl uns als Täter genannt. Und was passiert jetzt, fragte ich. Wahrscheinlich erst einmal nichts, sagte der Sachbearbeiter.
    Ich hatte Angst, dass eine riesige Behörde nun nach ihren eigenen Gesetzen mit uns verfahren würde, ohne unser Wissen, unsere Beteiligung, dass wir zermalmt würden in einem knarzenden Räderwerk. Ich rief beim Landeskriminalamt an, fragte mich wieder durch und wurde überraschend zügig an das LKA 41 verwiesen, «Delikte am Menschen». Mit einer Frau Kröger machte ich einen Termin für den Nachmittag aus.
    Frau Kröger trug eine Jeans und eine Jeansjacke und hatte kurze, kupferrot gefärbte Haare. Als sie mir die Hand reichte, sah ich, dass sie unter der Achselhöhle eine Pistole trug. Wir setzten uns, sie hatte eine Kladde vor sich auf dem Schreibtisch liegen, geschlossen und dünn, was mich hätte beruhigen können, wenn es unsere Akte gewesen wäre, was mich hätte beunruhigen können, wenn es die Akte von Herrn Tiberius gewesen wäre. Je dicker seine Akte, desto unglaubwürdiger musste er sein. Hinter Frau Kröger hing ein Poster, das zwei Katzenbabys zeigte. Ich schilderte ihr den Fall und beteuerte unsere Unschuld, worauf Frau Kröger sagte, dass gegen Herrn Tiberius nichts vorliege, die Polizei habe daher «wenig Handhabe». Wann habe die Polizei denn eine Handhabe, fragte ich. Wenn Ihre Frau oder Ihre Kinder attackiert würden, sagte sie. Meine Frau ist attackiert worden, sagte ich, mit Worten. Körperlich, sagte Frau Kröger. Heißt das, fragte ich, dass die Polizei erst eingreift, wenn meiner Frau oder meinen Kindern etwas zustößt? Ich kann Ihnen

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