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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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Ostberlin gewesen, um das Leben dort annehmbar finden zu können. Wir wollten Frieden, wollten die Welt retten und waren der Meinung, dass jede weitere Rakete einen Atomkrieg wahrscheinlicher machen würde. Und jetzt waren wir behandelt worden wie Verbündete des Warschauer Pakts. Ein paar Kilometer lang kamen wir uns schlecht vor, aber das schüttelten wir ab, öffneten eine Flasche Martini und feierten maßvoll. Die Sache war zu ernst, um sich zu betrinken. Wir kamen nachts in Bonn an, drückten uns eine Weile am Bahnhof rum und froren später auf Bänken am Rhein. Am nächsten Tag stand ich in der riesigen Menge im Bonner Hofgarten, hörte Reden für Frieden und Abrüstung und dachte an meinen Vater. Ich hatte lange nicht mehr mit ihm geredet. Etwas anderes als Provokation fiel mir nicht mehr ein zu ihm, und wenn er sich nicht aufregte über meine Worte, beachtete er mich nicht. Ich will nicht behaupten, dass es zwischen uns so war wie zwischen den USA und der Sowjetunion, weil weder mein Vater noch ich an Vernichtung dachten. Es gab auch kein Gleichgewicht des Schreckens, es gab eine angespannte Koexistenz, um nun doch ein Wort aus jener Zeit zu benutzen. Ich beschloss, etwas von dem Friedenswillen, den ich im Bonner Hofgarten erlebte, mit nach Hause zu nehmen.
    Erst sprach ich mit meiner Mutter, von der ich wusste, dass auch sie unter den Waffen meines Vaters litt. Da sie nicht so gut durch den Krieg gekommen war wie er, wollte sie von Waffen nichts wissen. Dass sie diesen Mann gewählt hat und bis heute mit ihm zusammen ist, kann man zu den großen Wundern zählen, die Liebe hervorbringt. Meinen Vorschlag fand sie gut, wie erwartet, und dann bereiteten wir eines Nachmittags, während mein Vater bei Ford Marschewski war, mit meiner Schwester und meinem Bruder Abrüstungsverhandlungen vor. Ich war schon geschult auf diesem Gebiet, ich hatte so viel gelesen und gehört, dass ich wusste, wie man das anging, und redete von vertrauensbildenden Maßnahmen und Non-Papers und überhaupt ziemlich verdreht daher, bis mein kleiner Bruder maulte, weil er nichts verstand. Jedenfalls, sagte ich, könnten wir nur etwas erreichen, wenn wir unserem Vater etwas anböten. Du, sagte ich zu meinem kleinen Bruder, könntest aufhören zu rauchen. Der raucht doch nicht, sagte meine Mutter. Natürlich raucht er, sagte ich. Gar nicht, sagte mein kleiner Bruder. Meine Mutter regte sich wahnsinnig auf, weil sie mir mehr glaubte als meinem kleinen Bruder, zu Recht, und schließlich versprach mein Bruder, dass er nicht mehr rauchen würde. Allerdings mussten wir ihm zusichern, dass wir Vater nicht sagten, dass er jemals geraucht hat. Sonst schießt er noch einmal, bevor er seine Waffen verschrottet, sagte mein kleiner Bruder. Dein Vater schießt nicht auf seine Kinder, sagte meine Mutter. Das Thema Rauchen fiel damit als Verhandlungsangebot aus. Bei meiner Schwester war es noch schwieriger, weil sie aus Sicht meiner Eltern im Prinzip alles richtig machte. Cornelia könnte wieder anfangen zu schießen, sagte mein kleiner Bruder. Sie hatte damit aufgehört, als sie achtzehn geworden war. Wir hatten alle gemerkt, wie enttäuscht mein Vater war, aber er nahm es klaglos hin. Wir können Abrüstungsverhandlungen nicht damit eröffnen, dass jemand ankündigt, wieder zu schießen, sagte ich, das widerspricht dem Sinn solcher Gespräche, sie sollen die Welt sicherer machen, nicht unsicherer. Ich mache die Welt nicht unsicher, wenn ich schieße, sagte meine Schwester, ich schieße nur auf Scheiben, und die treffe ich auch, im Gegensatz zu dir. Das war gegen mich gerichtet, und normalerweise hätte ich ihr jetzt eine größere Gemeinheit ins Gesicht gesagt, aber ich war dabei, Abrüstungsverhandlungen vorzubereiten, und hielt mich zurück, auch wenn es mir schwerfiel. Wie wäre es, sagte meine Schwester, wenn du einfach mal aufhören würdest, so arrogant zu sein, dafür gäbe Papa bestimmt alle seine Gewehre her. Nun reichte es mir aber doch. Gegen deine Blödheit hilft nicht einmal Gott, fauchte ich. Unsere Mutter griff ein und beschwichtigte. Ich glaube, Beschwichtigung war die Aufgabe, der sie sich am meisten widmen musste. Sie war gut darin, und am Ende bekamen wir einen ganz schönen Katalog von Angeboten an meinen Vater zusammen. Aufräumen war dabei, die Fahrräder nicht vor das Garagentor stellen, kürzer duschen, Rasen mähen, Musik mit dem Kopfhörer hören. Meine Mutter sagte zu, sich nachschulen zu lassen, damit unsere Fords beim Einparken

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