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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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die uns schützt, aber nicht gut darin sind, uns zu verteidigen, wenn es die Gesellschaft nicht tut. Wir mögen uns ja nicht einmal auf eine handfeste Schlägerei einlassen, weil wir Angst haben, dass am Ende Gehirnflüssigkeit ausläuft, unsere Gehirnflüssigkeit. Nichts macht uns so stark und so schwach wie unser Gehirn.
    Ich fragte mich in jener Nacht, ob ich der Mann bin, der ich jetzt womöglich sein musste, ein richtiger Mann also, nach klassischer Vorstellung. Meine Familie war vorerst ohne Schutz durch den Staat, Schutz konnte nur von mir kommen. Hatte ich nicht längst versagt? Weil ich Herrn Tiberius nicht von vornherein rüde zurechtgewiesen, ihm nicht die Fresse poliert hatte? Nicht aufgetreten war wie ein gereizter Gorilla?
    Ich hörte die Toilettenspülung, Herr Tiberius war so wach wie ich. Was für eine Demütigung, gerade dieses Geräusch von ihm zu hören und sich dann vorstellen zu müssen, wie er sich ein paar Tropfen von der Eichel wischte, wenn er so reinlich war, und dann sein Glied verstaute. Und dieser Mann begehrte dieselbe Frau wie ich. Das ist das Problem an schönen Frauen, im Begehren verbindet man sich mit anderen Männern, auch mit Idioten oder mit Kranken wie Herrn Tiberius. Ich bekämpfte diesen Gedanken, müde, erschöpft, und landete dabei über Umwege in Erinnerungen an Putu, ich sah sie tanzen, der Leopardenbikini, die hohen Schuhe, ihr straffer Körper. Es ist das letzte Bild, das ich von jener Nacht erinnere.
    Nach dem Aufstehen schaute ich sofort im Hausflur nach, ob ein Brief auf dem Sims lag, aber da war nichts. Ich verließ das Haus um neun und ging zu einer Textilreinigung in der Nähe des S-Bahnhofs Lichterfelde-West. Das ist kein kleiner Laden, nichts für einzelne Röcke und Hemden, sondern fast eine Fabrik, die Großkunden betreut, Restaurants oder Pensionen aus der Umgebung. Der Besitzer, ein Herr Walther, vermietete das Souterrain an Herrn Tiberius. Die Frau im Annahmekontor schickte mich nach hinten, durch eine schwere Stahltür. Ich landete in einer kleinen Halle, in der Apparate standen, von denen einige aussahen wie riesige Waschmaschinen. Es war heiß, Feuchtigkeit legte sich auf meine Haut. Ich sah Dampf, hörte ein Rumpeln und Zischen, ein paar Leute in weißen Kitteln standen zwischen den Maschinen, wegen des Dampfes erkannte ich Herrn Walther nicht sofort. Ich fragte mich durch, er stand an einer Maschine, aus der eine junge Frau weiße Laken zog. Die beiden lachten gerade, als ich mich ihnen näherte. Ich hatte gedacht, dass er sich an mich erinnern würde, so wie ich mich an ihn erinnerte von dem Gespräch, das wir mit den anderen Eigentümern unseres Hauses geführt hatten, aber er erinnerte sich nicht. Ich sagte, wer ich bin, und bat darum, ihn alleine sprechen zu können. Die Frau sei aus Moldawien und verstehe kein Deutsch, sagte Herr Walther. Sie hatte sich durch meine Ankunft nicht stören lassen und zog weiter Laken aus der Maschine. Herr Tiberius, sagte ich, belästige meine Frau in schwerwiegender Weise, ob er, Herr Walther, ihm nicht kündigen könne, es sei für uns unerträglich, weiterhin mit Herrn Tiberius unter einem Dach zu leben, ich sei bereit, einen neuen Mieter für das Souterrain zu suchen und würde alle Kosten übernehmen, die durch den Wechsel entstünden. Ich musste laut sprechen, um gegen das Rumpeln und Zischen der Maschinen anzukommen. Was macht er denn, der Dieter, fragte Herr Walther. Er schreibt meiner Frau obszöne Briefe, sagte ich. Am Gesicht von Herrn Walther sah ich, dass ihn das nicht beeindruckte. Liebesbriefe, fragte er. Nein, obszöne Briefe, sagte ich, Sex, widerlicher Sex. Er nickte wissend, sagte dann: Ich habe noch nie Ärger mit dem Dieter gehabt. Dass er den Vornamen benutzte, beunruhigte mich. Herr Tiberius, sagte ich, behauptet, dass wir unsere Kinder sexuell missbrauchen. Die Frau aus Moldawien sah mich an. Sie hatte alle Laken aus der Waschmaschine gezogen und in einem fahrbaren Korb verstaut. Dass Sie Ihre Kinder sexuell missbrauchen, sagte Herr Walther in einem halb fragenden Ton. Wir missbrauchen unsere Kinder nicht, sagte ich, und mir war sofort klar, dass dies ein unmöglicher Satz ist. Es ist ein Satz, der einen zutiefst schuldig dastehen lässt, weil er etwas so Selbstverständliches ausdrückt, dass man ihn nicht sagt. Wer ihn trotzdem sagt, muss einen Grund dafür haben, und deshalb steht man mit diesem Satz sofort unter Verdacht. Schweiß lief mir das Gesicht herunter, es war heiß zwischen den

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