Angst (German Edition)
Maschinen, mein Hemd und die Anzughose klebten auf der Haut. Herr Walther sah mich jetzt interessiert, beinahe forschend an. Und wie kommt der Dieter darauf, fragte er. Ich weiß es nicht, sagte ich, ich weiß nur, dass ich nicht einen Tag länger mit Herrn Tiberius in einem Haus leben möchte. Er ist ein guter Mieter, sagte Herr Walther, die Miete zahlt das Sozialamt, da kann man sich drauf verlassen. Was sagt denn die Polizei, fragte er dann. Die ermittelt noch, sagte ich. Gut, sagte er, dann warten wir die Ermittlungen ab, und dann reden wir noch mal, einverstanden? Das war nicht unfreundlich gesagt, aber es half mir kein Stück weiter. Einverstanden, sagte ich mutlos und wünschte mir, meine Frau hätte dieses Gespräch geführt. Sie kann entschiedener auftreten als ich, wir hatten die Aufgaben falsch verteilt. Andererseits konnte sie schlecht ohne mich mit Herrn Tiberius in einem Haus sein. Ich fuhr ins Büro, arbeitete, ohne wahrzunehmen, was ich tat.
In der Nacht lag ich wieder lange wach, lauschte in die Stille und fragte mich, ob Herr Tiberius jetzt ebenfalls wach in seinem Bett lag und an mich dachte, so wie ich an ihn. Wir waren höchstens zehn, fünfzehn Meter voneinander entfernt, zwei Männer unter ihrer Decke, Kopf auf dem Kissen, trotz des momentanen Eindrucks von Friedlichkeit auf eine grauenhafte Art miteinander verstrickt, verkettet, der eine Architekt, verheiratet mit einer schönen Frau, zwei Kinder, wohlhabend, bürgerlich, der andere ein ehemaliges Heimkind, arbeitslos, allein, Hartz-IV-Bezieher. Alle Vorteile lagen auf meiner Seite, aber ich hatte Angst, dass dies zu einem Nachteil werden könnte, dass sich Leute fänden, Sozialarbeiter, Journalisten, die daraus den beispielhaften Kampf eines Unterprivilegierten gegen einen Privilegierten machten, Souterrain gegen Hochparterre. Am Ende wäre es meine Schuld, die Schuld meiner Schicht, dass Herr Tiberius sich auflehnen musste. Ihm würde der Sieg gewünscht, mir die Niederlage, und deshalb würde ihm zum Sieg verholfen. Herzrasen.
Am nächsten Morgen war ich beim Sozialamt des Bezirks Steglitz-Zehlendorf. Ich hatte dort angerufen, aber man sagte mir, dass ich am Telefon keine Auskunft bekäme. Ich fragte mich durch, saß vor Zimmern, in denen die Leute, die vor mir dran waren, quälend lange blieben. Ich sah bei den anderen Wartenden Mutlosigkeit, Trauer, Unwillen, Wut, und ich erreichte nichts. Irgendwann landete ich in einem Zimmer ohne jeden Schmuck, nicht einmal Pflanzen gab es. Zwei Männer und eine Frau saßen mir gegenüber an einem runden Tisch, keine Kladde. Ich erzählte ihnen meine Geschichte, fast schon routiniert, erzählte sie in leere Gesichter hinein. Als ich fertig war, sagte die Frau: Man könne mit mir nicht über Herrn Tiberius reden, könne mir nicht einmal sagen, ob die Wohnung vom Sozialamt bezahlt werde oder nicht. Ich solle das bitte akzeptieren, ergänzte einer der Männer. Ich muss das wohl akzeptieren, sagte ich, aber ich möchte Sie bitten, diese Angelegenheit einmal so zu sehen: Vielleicht ist Herr Tiberius ein Mensch, dem man helfen muss, und das ist doch eine Aufgabe des Sozialamts, oder? Achselzucken, Schweigen. Ich legte meine Visitenkarte hin und ging. Auf dem Gang rannte ich in einen Mann, der so dick war, dass man ihn eigentlich nicht übersehen konnte. Tschuldigung, brummte ich. Nächstes Mal besser aufpassen, rief er mir hinterher. Fettsack, dachte ich, blöder Fettsack.
Als ich abends nach Hause kam, fand ich einen Brief in meinem Briefkasten. Er war nicht von Herrn Tiberius, das sah ich gleich, es war eine andere Schrift, und der Umschlag war frankiert. Ein Anwalt teilte mir mit, dass er die Sache von Herrn Tiberius vertrete. Mehr sagte das Schreiben nicht, und doch klang es bedrohlich für mich. Ich verstand das so, dass sich Herr Tiberius einen Anwalt genommen hatte, um uns mit allen Mitteln zu bekämpfen. Beim Abendessen, bei einem Italiener am Bahnhof, fiel mir ein, dass der Brief auch ein gutes Zeichen sein könnte. Offenbar hatte sich Herr Tiberius entschlossen, den Rechtsweg einzuschlagen. Das war das Terrain, auf dem wir bestehen konnten, koste es, was es wolle, Geld war da, und wenn das nicht reichte, konnte ich mehr beschaffen.
Ich rief meine Frau an und flößte ihr wieder Zuversicht ein. Ich spielte, muss ich gestehen, den tatkräftigen Mann, der alles unternimmt, um seine Familie zu verteidigen, den Krieger, und ich meldete erste kleine Erfolge. In Wahrheit kam ich keinen Schritt voran.
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