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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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wichtig. Mein Ruf ist mir wichtig. Das macht ein bürgerliches Leben so empfindlich, das macht uns so nervös. Die Reputation ist der Mantel, der alles umschließt. Aber er kann schnell löchrig werden, wir brauchen Disziplin, und wir brauchen die anderen. Auch von ihrem Wohlwollen hängt unser Ruf ab. Wenn sie nicht wollen, dass wir einen guten Ruf haben, haben wir keinen. Ein Gerücht reicht, auch wenn es haltlos ist. Ich hatte panische Angst vor diesem Gerücht, ich sah mich als Schlagzeile von Zeitungen, die ich nicht lese, die mir nur am Bahnhofskiosk mit ihren gewalttätigen Überschriften Dinge zurufen, die ich nicht wissen will. Stararchitekt ein Kinderschänder? Eine solche Frage reicht. Ist sie gestellt, ist die Antwort praktisch mitgeliefert. Man ist erledigt. Ich bin kein Stararchitekt, ich bin weit davon entfernt, habe meine Qualitäten, finde Anerkennung, bin jedoch nicht Calatrava oder Herzog, auch nicht Kollhoff. Aber die Leute, die Überschriften machen, nehmen das Wort Star gerne, um Interesse zu erregen. Wenn ich am Bahnhofskiosk in einer Überschrift lese, ein Fußballstar habe seinen Trainer geschlagen, weiß ich, dass der Übeltäter in der zweiten Bundesliga spielt. Wäre es Bastian Schweinsteiger, hieße die Zeile: Schweinsteiger schlägt seinen Trainer. Ein Star wird mit Namen genannt, ein Nicht-Star ist Star. So funktioniert das. Ich würde Stararchitekt sein mit der Wirkung, dass ich in den Augen der Leser noch tiefer falle. Vom Star zum Kinderschänder, aha, ganz schlimm.
    Du und deine Bürgerlichkeit, sagt mein Bruder manchmal und lacht. Er war dabei, als ich bei einer unserer Abendgesellschaften beiläufig gesagt habe, dass ich es als Pflicht des bürgerlichen Menschen ansehe, wählen zu gehen. Was ist denn für dich bürgerlich, fragte eine Frau, eine Journalistin, und ihr Ton war so spitz, dass ich schon wusste, was sie mir absprechen würde: Bürgerlichkeit. Wir waren neun Leute an dem Abend, die Journalistin und ihr Mann, der Investmentbanker ist, ein Theaterregisseur und sein Lebensgefährte, der von sich sagte, er sei Galerist, habe aber zurzeit keine Ausstellungsräume, ein Facharzt für Lungenkrankheiten und seine neue Freundin, die PR macht, vor allem für das Familienministerium, und mein kleiner Bruder, mal wieder solo. Wir hatten bis dahin einen guten Abend gehabt, Wildschweinragout gegessen, weil mein Vater ein Wildschwein geschossen und uns eine Haxe und ein Rückenstück gebracht hatte. Dazu gab es den schönen Black Print, eine Cuvée, so dunkel, dass sie einem das Zahnfleisch blau einfärbt. Ich hatte den Hauptgang mit einer kleinen Erzählung über meinen Vater eröffnet, hatte gesagt, dass bei uns zu Hause in der Garage häufig Wildschweinhälften, Rehkeulen oder Hasen gehangen hätten, zum Schrecken meiner Schwester, der es leidtat um die Tiere. Sie habe nie etwas davon gegessen, zur Freude von meinem Bruder und mir, da konnten wir umso mehr reinhauen. Bei der neuen Freundin des Arztes, die noch nie bei uns gewesen war, weckte das sofort Interesse an meinem Vater. Ich erzählte von den Waffen und wie mein Vater so war, mein kleiner Bruder ergänzte manches, während die PR-Frau ständig auf das Tattoo an seinem Hals starrte. Es ist der Kopf eines düsteren Wesens, von dem mein Bruder sagt, es sei Klingsor, er hat den Entwurf dafür selbst gemacht. Wir redeten eine Weile, mein Vater ist immer eine gute Geschichte, alle lauschten gebannt, Waffen gehören heutzutage nicht mehr zu einem normalen Leben, und was ist interessanter, als von Abweichungen zu erfahren. Als wir fertig waren, wies mich der Galerist ohne Ausstellungsräume darauf hin, dass ich «zu Hause» gesagt hätte, als ich vom Haus meiner Eltern gesprochen habe. Wirklich, fragte ich etwas ungläubig, aber der Investmentbanker hatte es auch gehört, und mein Bruder sagte grinsend: Das waren deine Worte. Mein Zuhause ist hier, sagte ich mit einem Blick auf Rebecca, und bald war der Tisch in ein Gespräch darüber verwickelt, wann man aufhöre, «zu Hause» zu sagen, wenn man von seinem Elternhaus spreche. Die Journalistin sagte: nie, sie sage immer noch, sie fahre nach Hause, wenn sie ihre Eltern in Regensburg besuche. Der Facharzt für Lungenkrankheiten sagte, wenn man Kinder hat. Meine Frau sagte, wenn man Weihnachten nicht mehr zu seinen Eltern fährt, sondern die Eltern einlädt. Ich öffnete den sechsten Black Print, obwohl noch eine halbe Flasche auf dem Tisch stand und eine weitere Flasche schon

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