Angst (German Edition)
Herr Tiberius aus seinem Souterrain und sagte zu meiner Frau, er habe gehört, dass sie Fee und Olga sexuell missbraucht habe, jetzt solle sie mal dableiben, die Polizei komme gleich. Sie sind eine Kinderschänderin, hat er wörtlich zu Rebecca gesagt. Als sie ihn noch anschrie, fuhr der Polizeiwagen vor, Polizeiobermeister Leidinger und sein Kollege. Herr Tiberius erstattete Anzeige, während Rebecca und die Mädchen danebenstanden. Wenn jemand die Polizei ruft und den Verdacht eines Kindesmissbrauchs äußert, muss die Polizei kommen, ob sie das glaubt oder nicht. Sie muss die Anzeige aufnehmen. Danach fuhren die beiden Polizisten davon, meine Frau ging zurück in unsere Wohnung und rief mich an. Ich komme sofort, sagte ich, nahm ein Taxi und fuhr nach Hause. Ich stürmte ins Souterrain, klingelte, schlug gegen die Tür und schrie böse Dinge. Ich weiß nicht mehr genau, was ich geschrien habe, ich war so außer mir, dass ich den Wortlaut vergessen habe. Es ging um Prügel, aber auch darum, dass Herr Tiberius krank sei und Hilfe brauche. Ganz sicher habe ich nicht geschrien, dass ich Herrn Tiberius umbringen werde, das hat er nämlich gegenüber der Polizei behauptet. Er hat mich angezeigt. Die Polizisten, die seine Anzeige wegen Kindesmissbrauchs aufgenommen hatten, standen eine Stunde später in unserer Wohnung und konfrontierten mich mit der Behauptung von Herrn Tiberius, ich hätte ihm mit Mord gedroht. Daran fehlt mir jede Erinnerung, ich habe das damals dementiert und bleibe dabei. Die Polizisten waren freundlich und ließen durch Blicke erkennen, dass sie auf unserer Seite standen, nicht auf der von Herrn Tiberius. Ich fragte sie, was ich nun tun solle. Sie zuckten mit den Achseln. Was würden Sie tun, fragte ich. Polizeiobermeister Leidinger zuckte wieder mit den Achseln, der andere grinste und legte eine Hand auf das Holster mit seiner Dienstpistole. Vielleicht war es eine zufällige Bewegung, aber ich verstand das damals so, dass er die Sache mit seiner Waffe regeln würde. Als sie weg waren, kannten meine Bestürzung, meine Hoffnungslosigkeit keine Grenzen mehr. Wenn schon ein Polizist der Meinung ist, dass man diese Sache nur mit Selbstjustiz regeln kann, dann gab es für uns keine Hoffnung auf den Rechtsstaat. Rebecca sah das genauso.
Als mein Sohn von einem Besuch bei einem Freund zurückkam, setzten wir uns mit den Kindern an den Küchentisch und erklärten ihnen, was Herr Tiberius ihren Eltern vorwarf. Wir mussten das jetzt tun, da Fee gehört hatte, dass ihre Mutter eine Kinderschänderin genannt worden war. Wir hatten unsere Tochter noch nicht einmal aufgeklärt, ich musste also weit ausholen, merkte aber bald an Fees Kichern, dass sie schon ungefähr wusste, wie sich Sex abspielt. Herr Tiberius, sagte ich mit belegter Stimme, behauptet, dass die Mami und der Papi diese Sachen mit euch machen. Von allen Sätzen, die ich in meinem Leben gesagt habe, ist dies der furchtbarste. Fee sah mich verblüfft an, Paul grinste. Stimmt gar nicht, sagte Fee. Nee, sagte Paul. Obwohl ich wusste, dass sie nur so antworten konnten, war ich erleichtert. Warum sagt der das dann, fragte Paul. Er ist ein böser Mensch, sagte meine Frau, wir haben ihm nichts getan, aber er ist böse zu uns. Wir versuchten, sie zu beruhigen, sagten, dass er uns nichts tun könne, dass wir aufpassen würden und sie ganz sicher seien. Sonst kommt Onkel Bruno, und dann geht es ihm schlecht, sagte Paul. Ja, sagte ich, Onkel Bruno wird ihn tüchtig verprügeln, wenn er sich noch einmal regt. Die Kinder lachten und klatschten. Und ich auch, sagte ich. Rebecca legte eine Hand auf meinen Arm und lächelte mich unterstützend an. Sie wusste, was ich mich jetzt fragte. Warum die Kinder auf meinen kleinen Bruder setzten, wenn es um ihren Schutz ging, und nicht auf mich, ihren Vater? Es lag nahe, klar, wenn Bruno uns besuchte, tobte er mit ihnen stundenlang durch die Wohnung und den Garten, er war wild, er hatte das Tattoo am Hals, und er konnte Geschichten erzählen von Abenteuern, die er in Südamerika oder Afrika erlebt hatte. Sie liebten und bewunderten ihn. Natürlich liebten sie mich auch, es gab da keinen Zweifel, aber mich kannten sie als einen sanften Vater, der mit ihnen baute und spielte, jedoch nichts von einem wilden Mann hatte. Dafür hatten sie Onkel Bruno. Das war für mich immer in Ordnung gewesen, doch in diesem Moment litt ich an meiner zurückhaltenden Art.
Nachdem wir die Kinder ins Bett gebracht hatten, saßen meine Frau und
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