Angst (German Edition)
sich bei Rebecca für ihr Verhalten. Die nahm das kühl an und versicherte, es sei nicht schlimm. Fotze, sagte sie, als das Gespräch beendet war. Ich habe meine Frau noch nie so reden hören, verstand sie aber. Es ist wirklich nicht so, dass man uns soziale Kälte vorwerfen kann. Wir sind bereit, etwas von unserem Wohlstand abzugeben, haben ein Patenkind in Afrika, mit dem wir im Briefwechsel stehen, auf Wunsch unserer Tochter Fee eine Patenschaft für einen Tiger in Indien, und bei Erdbeben oder anderen Naturkatastrophen spenden wir eigentlich immer Beträge, die nicht unerheblich sind.
Ich ging zu meiner Bank und war am Nachmittag wieder in der Reinigung. Den Besitzer fand ich auch diesmal im Dampf seiner Automaten. Ich bot ihm hunderttausend Euro für das Souterrain, das Doppelte des wahren Wertes. Ich bot ihm hundertzwanzigtausend, schließlich hundertfünfzigtausend, obwohl mein Bankberater gesagt hatte, dass hundertzwanzigtausend das Maximum sei. Wir waren immer noch stark durch den Kauf der Wohnung belastet, und ich bin nicht einer dieser Architekten, die steinreich werden. Ich mache alles von der Bauzeichnung bis zur Baubetreuung selbst, unterstützt nur von einer Halbtagssekretärin und manchmal einem Praktikanten, sodass einiges übrig bleibt von meinen Einnahmen, aber mehr als fünf Häuser schaffe ich nicht im Jahr. Wir sind wohlhabend, nicht reich.
Die Wohnung ist unverkäuflich, sagte der Besitzer der Reinigung. Es ist nur ein Souterrain, sagte ich. Für Sie ist es nur ein Souterrain, sagte der Besitzer und gab der Moldawierin ein Zeichen mit der Hand, woraufhin sie die Maschine, die besonders laut zischte, abstellte. Ich bin in diesem Souterrain geboren worden, sagte er, meine Mutter war Dienstbotin der Familie, der das ganze Haus einmal gehört hat. Sie habe für diese Leute gekocht und den Haushalt gemacht, und er habe dort mit ihr gelebt, bis er zwanzig war. Er durfte als kleines Kind nicht mit ihr nach oben gehen, sondern habe im Keller gehockt, die Schritte seiner Mutter und der anderen gehört und den halben Tag auf die Fußgänger und Autos geschaut, «von unten», sagte er. Nun gehöre ihm ein Teil dieses Hauses, und den werde er nicht hergeben. Können Sie nicht wenigstens Herrn Tiberius rauswerfen, sagte ich eindringlich. Was sage denn die Polizei, wollte der Besitzer der Reinigung wissen. Nichts, sagte ich. Wegen nichts kann ich dem Dieter nicht sein Dach über dem Kopf nehmen, sagte der Besitzer der Reinigung, aber wenn Sie verkaufen wollen, dann kann ich Ihnen ein Angebot machen. Ich ging, ohne mich zu diesem letzten Satz zu äußern.
Heute denke ich, dass dies der Fehler meines Lebens war. Ich hätte unsere Wohnung hergeben sollen, mein Vater säße dann jetzt nicht im Gefängnis, und wir als Familie hätten nicht einen Mord auf dem Gewissen. Wir hätten den Kampf gegen Herrn Tiberius verloren, zu Unrecht verloren, doch was machte das schon? Ich hänge nicht der männlichen Ideologie an, dass Niederlagen ausgeschlossen sind. Gleichwohl wollte ich nicht weichen. Ich war da schon tief in den Gedanken verstrickt, dass einer, der im Recht ist, dieses Recht auch bekommen muss, ein Kohlhaas’scher Wahn, zu dem wir Berliner einen besonderen Bezug haben. An manchen Sommertagen fahren wir mit unseren Kindern ins Gasthaus Kohlhasenbrück, sitzen am Kanal und essen ein großes Eis. Hier soll Michael Kohlhaas gelebt haben. Aber ich bin kein Kohlhaas, nein, wirklich nicht. Seit einiger Zeit kommt mir manchmal der Gedanke, ich könnte geblieben sein, um meinem Vater und mir eine Chance zu geben, zueinanderzufinden, über eine Tat. Abstrus?
Als sich die Tiberius-Krise zuspitzte, entwickelte Paul einen Tick. Er stülpte die Lippen vor und zog die Nase auf eine eigentümliche Art kraus. Erst machte er das nur selten, dann alle zwanzig, dreißig Sekunden. Insgeheim nannte ich das «rüsseln», und dieses Rüsseln machte uns große Sorgen. Natürlich bezogen wir es auf Herrn Tiberius, wir bezogen damals so ziemlich alles auf Herrn Tiberius. Wir fragten Paul, ob ihm irgendetwas Sorge mache, und er sagte nein. Wir fragten ihn, ob er Angst vor Herrn Tiberius habe, und er sagte wieder nein. Paul ist eigentlich ein entspanntes, fröhliches Kind. Er hat nie Aufstände gemacht, er nahm das Essen, das wir ihm anboten, gab sich rasch geschlagen, wenn wir im Laden sagten, dass wir keine große Tüte mit Konfekt kaufen, und als wir ihm verboten, die Wand mit Filzstiften zu bemalen, hat er es nie mehr gemacht.
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