Angst (German Edition)
Porzellan von Rebeccas Urgroßmutter, ein mallorquinischer Rotwein mit einer wunderbaren Balance. Wir redeten über unseren Alltag, unsere Kinder und die Frage, ob Rebecca noch einmal in ihren Beruf einsteigen solle. Die Musik hatten wir gerade so laut gestellt, dass sie unser Gespräch nicht störte, Herrn Tiberius aber das Mithören verdarb und wir nichts von Dustin Hoffman mitbekamen. Ich bin kein Pathetiker, ich habe mich in dieser ganzen Geschichte nicht zu Pathos hinreißen lassen, außer an jenen Abenden. Da legte ich gerne die 7. Symphonie von Schostakowitsch auf, die «Leningrader». Er hat sie in der belagerten Stadt geschrieben, mit Anklängen an Militärmärsche, vor allem im Allegretto. Eine Musik der Wehrhaftigkeit. Ich fand das gut damals, Widerstand durch Kultur. Was für ein Unsinn, sage ich heute.
Es ging uns gut an diesen Abenden, wir waren ein normales Paar, alsbald auch ein verliebtes Paar. Rebecca hatte manchmal seltsame Einfälle, so wie früher. Einmal sagte sie, komm, wir sagen uns Sätze, die keine Liebe aushalten kann außer unserer. Ich war nicht sicher, ob wir schon so weit waren, um das aushalten zu können, ließ mich aber darauf ein, weil man in einer solchen Phase dem anderen nichts ausschlagen kann. Du bist im Winter so was von unsexy, weil du zum Bademantel Pantoffeln und Socken trägst, sagte Rebecca. Aber meine Füße sind im Winter immer kalt, wehrte ich mich. Sie sagte, dass auch kalte Füße unsexy seien. Mich hat das getroffen, weil ich auch im Winter nicht unsexy sein möchte. Und jetzt musst du mir verzeihen, sagte Rebecca. Ich schluckte den Anflug von Beleidigtsein runter und verzieh ihr, verzieh ihr wirklich und dachte: was für eine wundervolle Frau. Jetzt du, sagte Rebecca und sah mich erwartungsvoll an. Ich dachte eine Weile nach, und das Einzige, was mir einfiel, war: Du atmest so laut beim Essen. Ach komm, sie war enttäuscht, das tut doch jeder Zweite, das hält doch jede Liebe aus. Na ja, Pantoffeln sind auch nicht so originell, sagte ich. Bitte, sagte meine Frau, bitte, bitte, bitte. Ich überlegte, sagte dann: Du riechst nicht gut, wenn man dich von hinten vögelt. Das stimmte nicht, meine Frau bezaubert mich beim Vögeln immer durch ihren Geruch, aber ich wollte jetzt etwas sagen, das ihr wirklich weh tun musste. Sie schluckte, und ich dachte schon, dass ich zu weit gegangen war, doch dann sagte sie: Und trotzdem vögelst du mich wahnsinnig gerne von hinten. Und trotzdem vögele ich dich wahnsinnig gerne von hinten, sagte ich. Weil unsere Liebe so groß ist, sagte sie. Weil unsere Liebe so groß ist, sagte ich. Wir stießen sanft an mit unserem Rotwein. Ach, reichen Sie mir doch bitte ein Stück von dem Tomme, Iwan Iwanowitsch, sagte Rebecca mit einem melancholischen Lächeln, in dem man die Schwindsucht und den nahen Tod erkennen konnte. Sehr gerne, Anna Petrowna, sagte ich und schnitt ein Stück Käse ab, aber finden Sie nicht auch, dass es hier sterbenslangweilig ist? Ja, hauchte sie, es ist sterbenslangweilig, aber hören Sie bitte auf, von Charakter zu reden, ich will nichts mehr von Charakter hören. Ich verstand sofort, warum sie so redete, sie wollte an unseren Gründungsmythos anknüpfen, er konnte uns retten, und deshalb war klar, dass wir nach diesem Essen wieder miteinander schlafen würden. Rebecca ging duschen, was sie sonst spätabends nie getan hat. Als sie zu mir ins Bett kam, sagte ich: Wehe, du duschst dir noch einmal deinen herrlichen Geruch weg. Du hast gelogen, sagte sie, du darfst nicht lügen, wenn wir zueinanderfinden sollen. Dann hatten wir Sex, und ich gab mir Mühe, keine Selbstfeier daraus zu machen, sondern in jedem Moment meine Frau zu meinen. Das klingt sicherlich nicht gerade berauschend, Sex und Mühe sind nicht das, was man gekoppelt haben möchte, ich weiß, aber wenn man aus einem langen, tiefen Tal kommt, dann ist der Aufstieg manchmal mit Mühen verbunden. Wir haben das beide so gesehen, und deshalb ging es auch.
Unsere Kinder, unsere unmissbrauchten Kinder, denn das waren sie jetzt, das war die neue Stufe ihres Daseins, wurden eifersüchtig, weil sie zuletzt nicht mehr erlebt hatten, dass sich Mama und Papa so viel miteinander beschäftigten. Vorher hatten sie mich beim Spielen oft ganz für sich gehabt, nun saß Rebecca manchmal dabei, und wir redeten miteinander, während ich für Paul ein Schiff baute und für Fee einen Pferdestall, wir sind da eine traditionelle Familie. Geh weg, Mami, sagte Fee einmal, aber ich
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