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Angst (German Edition)

Angst (German Edition)

Titel: Angst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk Kurbjuweit
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den Rechtsstaat zertrümmert. Ich telefonierte viel mit meiner Mutter.
    Pass auf, sagte mein kleiner Bruder eines Tages zu mir, wenn du den Typen da unten nicht selbst aus seinem Loch hauen willst, dann lass es andere machen, aber hör auf damit, das alles so jammervoll hinzunehmen. Er kenne Leute, Kunden von ihm, die könnten das übernehmen, die würden «der Kellerassel» kräftig Bescheid geben, und niemand könne nachweisen, dass wir dahintersteckten. Es würde ihn wundern, wenn «das Schwein» nach einer solchen «Behandlung» bleiben wolle. Und wenn doch, bekomme er eben eine «zweite Behandlung». Ich hatte längst über diesen Weg nachgedacht, nannte ihn die «tschetschenische Lösung», nachdem ein Kunde von mir, ein Georgier, dem ich unseren Fall grob erzählt hatte, mit dem Vorschlag gekommen war, die Sache «tschetschenischen Freunden» von ihm zu überlassen. Ich hatte das abgelehnt, es war nicht zu vereinen mit unserem rechtsstaatlichen Denken. Aber in meinem Hinterkopf tauchte die tschetschenische Lösung manchmal auf, als Beruhigung oder als Rachephantasie. Als mein Bruder mit mir sprach, war ich zu zermürbt, um entschieden nein sagen zu können. Ich sagte erst nein, ließ mich dann auf ein Gespräch darüber ein und sagte am Ende, wir könnten diese Leute ja einmal aufsuchen. Bruno telefonierte, und dann hatten wir am selben Abend einen Termin mit einem Mann, der sich Mickel nannte.
    Wir fuhren in den Nordosten Berlins. Mein kleiner Bruder lotste mich zu einer Kneipe, vor der eine Menge Motorräder geparkt waren, vor allem schwere Maschinen und Chopper. Ich sah, dass Bruno zwei dieser Maschinen bemalt hatte, Frauen und Krieger aus phantastischen Welten. Bist du stolz auf mich, fragte er, als wir davorstanden. Ja, sagte ich, ich bin stolz auf dich. Die Kneipe hieß Wanne. Der Mann, der sich Mickel nannte, saß an einem Tisch ganz hinten an der Wand. Wir gingen durch einen dunklen, verrauchten Raum, die Tische waren alle besetzt, ein paar Leute warfen Pfeile auf eine Scheibe. Mickel war dünn, ein Mann von sechzig Jahren, spitze Nase, schmale Lippen, weiße Wimpern, weiße Augenbrauen. Der Schädel kahl bis auf einen Kranz, von dem das weiße Haar in langen Strähnen herunterfiel. Er trug eine Kutte, wie Rocker sie tragen. Fast alle in der Wanne trugen eine solche Kutte, auch die wenigen Frauen. Aus den Boxen schmetterte Rockmusik. Uns wurde Bier hingestellt, ohne dass wir welches bestellt hatten.
    Du hast ’n Problem, sagte Mickel breit berlinernd zu mir, erzähl mal. Ich berichtete ihm ausführlich und überdramatisch von Herrn Tiberius, und als ich fertig war, sagte Mickel kurz: Macht tausend Euro, plus zweihundert Euro Spesen. Aber ich will nicht, dass er verletzt wird, sagte ich. Das koste tausendfünfhundert, sagte Mickel, plus dreihundert Spesen, wegen der Frotteehandtücher. Wieso Frotteehandtücher, fragte ich und sah, wie mein kleiner Bruder die Augen verdrehte. Um die Fäuste einzuwickeln, sagte Mickel. Ich wollte wissen, warum eine sanfte Behandlung viel teurer ist als eine grobe, worauf mir Mickel ausführlich erklärte, welchen Aufwand es bedeute, Leuten weh zu tun, ohne sie zu verletzen. Eine Frau trat an den Tisch, kurzer Rock, tiefer Ausschnitt, rote Schuhe. Sie legte ein Bündel Geldscheine hin, und Mickel befeuchtete einen Finger und zählte. Ich zählte mit, es müssen rund neunhundert Euro gewesen sein. Mickel nickte, die Frau ging. Mein großer Bruder will die Zivilisation bewahren, sagte mein kleiner Bruder. Und wir sollen ihm dabei helfen, fragte Mickel. Ich ärgerte mich, alles war auf einem guten Weg gewesen, warum musste Bruno mich jetzt bloßstellen? Wir könnten versuchen, uns an die Genfer Konventionen zu halten, sagte Mickel. Mich wunderte noch, dass er dieses Regelwerk des Anstands im Krieg kannte, als mein Bruder schon sagte: Nehmt doch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz mit und zwei Sanitäter, dann kann nichts schiefgehen. Kostet aber extra, sagte Mickel. Bruno lachte. Du bist ein solches Arschloch, fuhr ich ihn an. Merkst du nicht, wie lächerlich du dich hier aufführst, fauchte er und kam mir sehr nahe dabei, wenn du dich schon nicht wie ein Mann verhalten kannst, dann lass doch wenigstens zu, dass andere sich wie Männer verhalten. Ich konnte nicht anders, als mit meinem Kopf vorzustoßen und damit hart gegen seine Stirn zu prallen. Wir sprangen beide auf und rangen miteinander, die Biergläser fielen um, aber es vergingen nur Sekunden, bis ich mich im

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