Angst (German Edition)
sofort die Antwort einzufangen, die ich bei diesem Thema schon häufiger gehört hatte: Weil du nichts von deinem Vater haben willst. Dabei sind es gute Gene, sagte Rebecca, es sind Gene, die dir sagen können, wie man eine lange Ehe führt, wie man auch in schwierigen Zeiten für Kinder sorgt … Ich werde auch für meine Kinder sorgen, unterbrach ich Rebecca, was töricht war, denn umgehend hörte ich: Eben, es ist schon in dir drin, noch bevor du eigene Kinder hast. Ich war geschlagen, mal wieder, und ärgerte mich, gab aber nicht auf. Am Ende dieser Diskussionen einigten wir uns meist darauf, dass es so ist wie in der griechischen Tragödie: Die Götter leiten und lenken die Menschen, aber am Ende treffen die Menschen die Entscheidungen selbst. Also haben sie die Wahl, konnte ich mir nie verkneifen zu sagen. In Gottes Namen haben sie die Wahl, sagte Rebecca, und ich hatte immer den Verdacht, dass dies nicht eine Floskel war, sondern eine listige Formulierung, um recht zu behalten, aber ich kam nie dahinter, worin ihre List bestand.
Mitten in der heißen Phase der Sequenzierungen wurde Rebecca schwanger. Verhütet haben wir nie, nicht wirklich, ich passte auf, sie passte auf, aber nun hatte einer nicht richtig aufgepasst, oder beide. Ihr war klar, dass sie abtreiben würde, mir war das nicht ganz so klar, und wir hatten große Diskussionen, wie ein Leben mit Kind für uns aussehen würde, in meiner Sicht sehr schön, in ihrer gar nicht, weil sie gerade in der spannendsten Zeit nicht voll würde arbeiten können. Aber abtreiben konnte sie dann doch nicht. Paul wurde geboren, und sechs Wochen nach der Geburt sequenzierte seine Mutter wieder. Wir hatten einen aufwendigen Pendel-, Abpump- und Kinderbetreuungsdienst organisiert, aber es ging nicht gut. Ihr Professor, den der Wunsch nach unsterblichem Ruhm trieb, war unzufrieden, weil Rebecca nicht in der gewünschten «Totalität» mitarbeiten konnte, und Rebecca war unglücklich, weil sie das Kind vermisste, wenn sie arbeitete, und die Arbeit vermisste, wenn sie mit dem Kind zusammen war. Vielleicht hoffte sie darauf, dass ich meine Arbeit reduzieren würde, damit sie mehr arbeiten konnte, weil sie nur mir das Kind wirklich anvertrauen wollte. Allerdings verdiente ich schon gut, sie aber nicht, wie das so ist bei Männern und Frauen, sodass diese Lösung nicht in Frage kam, fand ich, fand nach langen Diskussionen auch sie. Nach einem halben Jahr gab sie auf und nahm Erziehungsurlaub. Sie ist nie mehr in ihren Job zurückgekehrt.
Eine traurige Geschichte? Rebecca wird böse, wenn sie bei unseren Abendgesellschaften bedauert wird von den Karrierefrauen, die so genau wissen, dass sie alles richtig machen, wir haben da üble Auseinandersetzungen erlebt. Die Frauen gehen aufeinander los, die Männer werden stiller und stiller. Aber ich weiß auch, dass Rebecca oft damit hadert, ihre Karrierechancen verpasst zu haben. Ich tröste sie mit den Worten, dass nichts verdienstvoller ist, als sein Leben Kindern zu widmen, aber ich weiß, dass das leicht gesagt ist für einen Mann, der sich beruflich so ausbreiten konnte und kann, wie er wollte und will. In letzter Zeit spricht Rebecca oft davon, dass sie gerne wieder arbeiten würde.
Durch die Kinder haben wir uns neu kennengelernt, weil Kinder alles verändern, vor allem ihre Eltern, und wir wussten nach wenigen Monaten, wer die Kraft hat, drei Nächte hintereinander bei einem kranken Kind zu wachen und wer nicht. Ich nicht, Rebecca ja. Wir hatten so viele Verteilungskämpfe miteinander ausgefochten, dass wir nicht mehr genau wussten, ob wir noch Partner waren oder schon Gegner. Es ging um die Verteilung von Zeit, wer kann dem anderen das schreiende Kind überlassen und einen Wein trinken gehen, wer fährt am Wochenende mit einem alten Schulfreund nach Barcelona? Wir wussten jetzt, wie es ist, nachts keine Lust aufeinander zu haben, weil man mehr oder weniger den ganzen Tag ein Kind auf dem Arm hatte, auf dem Bauch, auf der Brust, und einen jede weitere Berührung mit einer Temperatur von knapp siebenunddreißig Grad zum Menschenfeind machen würde. Vielleicht war auch das ein Grund, warum wir auseinandergedriftet sind. Aber ich wehre mich gegen diesen Gedanken, weil Kinder das Beste sind, was einem passieren kann, und wie sollte aus dem Besten etwas Ungutes entstehen? Aber wenn das Böse das Gute gebären kann, dann kann das Gute wohl auch das Schlechte gebären. Wir müssen mit diesen Ungereimtheiten leben.
Meinen Eltern
Weitere Kostenlose Bücher