Angst (German Edition)
ich im Wohnzimmer, hatten einen unserer großen Abende, wie wir das jetzt nannten, gutes Essen, gute Garderobe, Schostakowitsch, gutes Gespräch, und dann sagte sie nach dem Hauptgang: Ich muss dich etwas fragen, du darfst mir aber nicht böse sein. Bitte, du kannst mich alles fragen, sagte ich ohne Argwohn. Warum hast du bei unserem letzten Urlaub auf Menorca nackt mit Fee auf dem Sofa gelegen, fragte Rebecca. Ich wusste genau, was sie meinte. Wir hatten einen Tag am Strand verbracht, Baden mit den Kindern, Rausschwimmen, Sandburgen, Frisbee, Bücherlesen mit Sand zwischen den Seiten, Zeitungen, die der Wind verknüllte, Eincremen, Kuscheln auf Decken, dann wieder Baden. Als es kühler wurde, ging ich mit Fee zu unserem Haus, sie war erschöpft von diesem Tag und fing an zu bibbern. Zieht euch die nassen Sachen aus, rief uns Rebecca nach. Das machten wir, Fee zitterte nun richtig, und wir legten uns schnell unter eine Decke aufs Sofa, Fee schlief sofort ein, ich nach einer Weile ebenfalls. Wir wurden wach, als uns Paul die Decke wegzog. Ich habe gesagt, sagte Rebecca nun, dass ihr die nassen Sachen ausziehen sollt, damit ihr euch nicht erkältet, und doch war ich einen Moment irritiert, als ich euch nackt auf dem Sofa gesehen habe. Fee hat so gefroren, sagte ich, dass ich sie sofort unter der Decke wärmen wollte. Ich sagte es wie ein Beschuldigter, der seine Unschuld darlegen will. Ich erklärte meiner Frau, dass ich kein Kinderficker bin. Da waren wir nun. Ich mochte sie jetzt nicht, wegen eines Verdachts, den ich umgekehrt selbst gehabt hatte. Seltsamerweise war ich nie auf die Idee gekommen, dass auch Rebecca über meine Verlässlichkeit nachgedacht hatte, so wie ich über ihre. Das traf mich jetzt, mich traf die Tatsache des Verdachts, mich traf, dass es im Kopf meiner Frau offenbar auch ekelhafte Bilder von mir und den Kindern gab. Verzeih mir bitte, sagte Rebecca, ich vertraue dir, aber ich wollte einmal mit dir darüber geredet haben. Ich vertraue dir auch, sagte ich. Eigentlich ist es ein schöner, erhabener Moment, wenn man sich als Paar diese Sätze sagt, aber wir waren gezwungen, uns das Vertrauen in einer Angelegenheit auszusprechen, die sonst wegen ihrer Selbstverständlichkeit niemals angesprochen werden muss. Wir saßen da als Nicht-Kindesmissbraucher, und das ist kein Zustand, in dem einen irgendetwas glücklich machen kann. Als mein kleiner Bruder nach Hause kam, hockten wir noch immer im Wohnzimmer. Ich weiß nicht, ob wir in der Zwischenzeit gesprochen hatten. Wir waren eingehüllt in unsere schwarzen Gedanken, versunken in unserem Tiberius-Leben. Bruno versuchte, uns aufzumuntern, aber das gelang nicht, und wir schwiegen zu dritt, bis wir zu Bett gingen.
Wir erhielten einen neuen Brief von Herrn Tiberius, der uns beschuldigte, sein Fahrrad gestohlen zu haben. Ein lachhafter Vorwurf, wir hatten alle Räder von Bianchi, weil ich das Lindgrün dieser Marke so mag, und er hatte ein rostiges, klappriges Damenfahrrad, aber mich beruhigte diese offenkundige Abstrusität nicht, sondern ich nahm sie als weiteren Beleg für den Wahnsinn dieses Mannes, einen Wahnsinn, der zu allem fähig ist. Jedes Klingeln alarmierte mich. Kommt er jetzt? Ich scheuchte die Kinder in ihre Zimmer, öffnete mit einer Muskelspannung, die man vor Boxkämpfen braucht, und unterschrieb kurz darauf leidlich entspannt, aber beschämt mit dem elektronischen Stift, den die Männer von DHL einem reichen, wenn man ein Paket entgegennimmt.
Von Herrn Tiberius kam ein Brief, in dem er alle Vorwürfe zurücknahm, Fahrradklau und Kindesmissbrauch, und sich entschuldigte. Wir feierten das nicht, wir waren skeptisch, schöpften aber zum ersten Mal seit langer Zeit wieder Hoffnung. Am nächsten Tag empfingen wir erneut einen Brief. Er nehme nichts zurück, alles sei wahr und werde immer schlimmer. Die Polizisten kamen und gingen, wir suchten uns einen neuen Anwalt, einen älteren, erfahrenen Mann, den uns Freunde empfohlen hatten. Er war einfühlsam und hatte eine irgendwie aufbauende Art, uns Hoffnungen zu nehmen. Von der Verleumdungsklage sollten wir uns nicht viel versprechen, sagte er. Ihm würde es sicherlich gelingen, einen Richter davon zu überzeugen, dass uns Herr Tiberius übel verleumdet habe, aber dann bekäme der eine Geldstrafe, die ihm nicht mal weh tue, da er zu arm sei, um sie zu bezahlen. Er werde ein paar gemeinnützige Arbeiten machen müssen, würde aber in seiner Wohnung bleiben. Damit war unsere letzte Hoffnung auf
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