Angst in deinen Augen
gesprochen. Ihre Hütte liegt ein kleines Stück weiter oben an der Straße. Sie haben versprochen, ein paarmal am Tag nach Ihnen zu schauen. Ich kenne sie seit Jahren, deshalb weiß ich, dass man sich auf sie verlassen kann. Wenn Sie irgendetwas brauchen, gehen Sie einfach rüber zu ihnen.“
Er hatte das Feuerholz nun fertig aufgestapelt und klopfte sich jetzt den Staub von den Händen. „Sie sind hier sicher, Nina. Ich würde Sie nicht allein lassen, wenn ich auch nur den leisesten Zweifel daran hätte.“
Sie nickte. Und lächelte. „Es wird mir gut gehen hier. Sie können beruhigt sein.“
„Und nehmen Sie sich aus dem Schrank, was Sie brauchen. Es wird Ihnen zwar nichts passen, aber Sie werden wenigstens nicht frieren.“
„Ich komme schon zurecht, Sam. Machen Sie sich keine Sorgen.“
Dann herrschte lange Zeit Schweigen. Sie wussten beide, dass es nichts mehr zu sagen gab, aber er ging nicht. Er schaute sich in dem Raum um, als ob es ihm widerstrebte, zu gehen. Fast so sehr, wie es ihr widerstrebte, ihn gehen zu lassen.
„Es ist eine lange Fahrt zurück in die Stadt“, sagte sie. „Sie sollten vorher noch etwas essen. Was halten Sie von einem Gourmetmahl aus Makkaroni und Käse?“
Er grinste. „Machen Sie etwas anderes, und ich sage Ja.“
In der Küche kramten sie in den Einkäufen, die sie unterwegs im Supermarkt mitgenommen hatten. Bald standen Champignonomelettes, Baguette und eine Flasche Wein auf dem Tisch. Da es an diesem Teil des Sees noch keinen Strom gab, aßen sie im Licht einer Sturmlaterne. Draußen machte die Dämmerung der Dunkelheit Platz, und die Grillen stimmten ihr Nachtkonzert an.
Sie schaute ihn an. Seine Augen glänzten im Schein der Laterne. Sie sah die Schürfwunden an seiner Wange und dachte daran, wie nah er heute Nachmittag dem Tod gewesen war. Aber es war genau die Art von Risiko, die er Tag für Tag auf sich nahm. Bomben. Tod. Es war gefährlich, und sie wusste nicht, warum ein Mensch, der bei Verstand war, so etwas machte. Verrückter Cop, dachte sie. Und ich muss genauso verrückt sein, weil ich glaube, dass ich mich in diesen Typ verliebt habe.
Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Wein, wobei sie sich die ganze Zeit seiner Anwesenheit fast schmerzhaft deutlich bewusst war. Und der Tatsache, dass sie sich unwiderstehlich von ihm angezogen fühlte, so unwiderstehlich, dass sie fast zu essen vergaß.
Sie streckte den Arm aus, um ihm Wein nachzuschenken.
Er legte die Hand über sein Glas. „Ich muss noch fahren.“
„Oh. Natürlich.“ Nervös stellte sie die Flasche ab. Sie faltete und entfaltete ihre Serviette. Eine ganze Minute lang sprachen sie kein einziges Wort und schauten sich auch nicht an. Zumindest schaute sie ihn nicht an.
Aber als sie schließlich den Blick hob, sah sie, dass er sie beobachtete. Allerdings nicht so, wie ein Polizist eine Zeugin beobachtete.
Er beobachtete sie, wie ein Mann die Frau beobachtet, die er begehrt.
Er sagte eilig: „Ich sollte jetzt gehen …“
„Ich weiß.“
„… bevor es zu spät ist.“
„Es ist noch früh.“
„Sie brauchen mich in der Stadt.“
Sie biss sich auf die Unterlippe und sagte nichts. Natürlich hatte er recht. Die Stadt brauchte ihn. Alle brauchten sie ihn. Sie war nur ein Teil dessen, worum er sich kümmern musste. Jetzt war sie versorgt, und er konnte wieder zu seiner Arbeit zurückkehren. Zu dem, was wirklich wichtig war.
Doch er machte immer noch keine Anstalten zu gehen. Er saß unbeweglich da und schaute sie an. Sie war diejenige, die zuerst wegschaute und nervös nach ihrem Weinglas langte.
Sie war überrascht, als er ihre Hand ergriff. Wortlos nahm er ihr das Glas weg und stellte es ab. Er drückte einen Kuss auf die Innenseite ihres Handgelenks. Die Berührung seiner Lippen, das Kitzeln seines Atems war eine süße Folter.
Sie schloss die Augen und seufzte leise auf. „Ich will nicht, dass du gehst“, flüsterte sie.
„Es ist eine schlechte Idee. Zu bleiben.“
„Weshalb?“
„Deshalb.“ Wieder küsste er sie aufs Handgelenk. „Und deshalb.“ Seine Lippen glitten flüchtig an ihrem Arm nach oben, seine Bartstoppeln fühlten sich köstlich rau an auf ihrer empfindsamen Haut. „Es ist ein Fehler. Du weißt es. Ich weiß es.“
„Ich mache ständig Fehler“, erwiderte sie. „Aber ich bereue sie nicht alle.“
Er suchte ihren Blick, sah ihre Furcht und ihre Furchtlosigkeit. Sie gab sich keine Mühe, ihre Gefühle vor ihm zu verbergen. Ihr Hunger war zu groß,
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