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Angst in deinen Augen

Angst in deinen Augen

Titel: Angst in deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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erlangte seine Selbstkontrolle als Erster wieder. Ohne Vorwarnung beendete er den Kuss. Sie hörte in der Dunkelheit seinen keuchenden Atem.
    „Sam?“, flüsterte sie.
    Er löste sich von ihr und setzte sich auf die Bettkante. Sie beobachtete seinen schattenhaften Umriss in der Dunkelheit, sah, wie er sich mit der Hand durchs Haar fuhr. „Gott“, murmelte er. „Was mache ich da?“
    Sie streckte die Hand nach seinem Rücken aus. Als ihre Finger seine Haut streiften, spürte sie, wie er erschauerte. Er begehrte sie, so viel stand fest. Aber er hatte recht, es war ein Fehler, und sie wussten es beide. Sie hatte Angst und brauchte jemanden, der sie beschützte. Er war allein und brauchte niemanden, aber er war immer noch ein Mann mit Bedürfnissen. Es war nur natürlich, dass sie in den Armen des anderen Trost gesucht hatten, wie vorübergehend es auch sein mochte.
    Sie sagte: „Es ist nicht so schlimm, oder? Was gerade passiert ist, meine ich.“
    „Es darf nicht sein, es darf einfach nicht.“
    „Es muss nichts bedeuten, Sam. Nicht, wenn wir es nicht wollen.“
    Er stand auf und ging zur Tür. „Ich schlafe besser drüben auf der Couch.“
    Nach diesen schroffen Worten verließ er das Zimmer.
    Nina lag allein in seinem Bett und versuchte, ihre wild durcheinander wirbelnden Gefühle zu ordnen. Nichts machte Sinn. Sie versuchte sich an eine Zeit zu erinnern, in der ihr Leben perfekt geordnet war. Es war die Zeit vor Robert gewesen. Bevor sie sich in diesen Luftschlössern von einer perfekten Ehe verlaufen hatte. Von diesem Zeitpunkt an war plötzlich alles falsch geworden. Weil sie an Luftschlösser geglaubt hatte.
    In Wirklichkeit war sie in einem kaputten Zuhause aufgewachsen, mit gesichtslosen Stiefeltern und Eltern, die einander verabscheuten. Bis sie Robert kennengelernt hatte, hatte sie überhaupt nicht daran gedacht zu heiraten. Sie war zufrieden gewesen mit ihrem Leben, ihrem Beruf. Das war es, was sie immer getragen hatte: ihr Beruf.
    Sie konnte wieder dorthin zurückgehen. Sie würde zurückgehen.
    Der Traum von einer glücklichen Ehe war ausgeträumt.
    Ich hätte auf Sam hören sollen. Ich hätte mir einen Anwalt nehmen sollen.
    Dieser Gedanke schoss Nina durch den Kopf, als sie am nächsten Morgen auf der Polizeistation drei Beamten vom Morddezernat gegenübersaß. Sam hatte sie geweckt, nachdem ihn sein Vorgesetzter angerufen hatte. Die drei Polizisten waren zwar höflich, aber Nina spürte ihre nur schlecht gezügelte Ungeduld. Vor allem Detective Yeats erinnerte sie an einen bissigen Hund – an der Leine zwar, jedoch nur für den Moment.
    In der Hoffnung auf moralische Unterstützung warf sie Sam einen Blick zu. Er erwiderte ihn nicht. Seit sie hier in diesem Raum waren, hatte er sie noch kein einziges Mal angeschaut. Er stand steif am Fenster und schaute hinaus. Er hatte sie hierher gebracht, und jetzt ließ er sie allein. Aber er war ja schließlich auch wieder in die Rolle des Polizisten geschlüpft.
    „Ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß“, sagte sie zu Yeats. „Mehr fällt mir dazu nicht ein.“
    „Sie waren seine Verlobte. Sie haben ihn sehr gut gekannt. Sie müssen etwas wissen.“
    „Ich weiß aber nichts. Ich war ja nicht einmal dort. Wenn Sie mit der Frau meines Vaters …“
    „Wir haben bereits mit ihr gesprochen. Sie bestätigt Ihr Alibi“, sagte Yeats.
    „Und warum stellen Sie mir dann all diese Fragen?“
    „Weil ein Mord nicht persönlich ausgeführt werden muss“, sagte einer der anderen Polizisten.
    Jetzt beugte sich Yeats vor und sagte mit einschmeichelnder Stimme: „Dass er Sie am Traualtar stehen gelassen hat, muss sehr demütigend für Sie gewesen sein. So wusste alle Welt, dass er Sie nicht wollte.“
    Sie sagte nichts.
    „Da ist ein Mann, dem Sie vertrauen. Ein Mann, den Sie lieben. Und seit Wochen, vielleicht Monaten betrog er Sie. Vielleicht hat er hinter Ihrem Rücken über Sie gelacht. So ein Mann verdient eine Frau wie Sie nicht. Aber Sie haben ihn trotzdem geliebt. Und alles, was Sie davon haben, ist Schmerz.“
    Sie senkte den Kopf. Sie sagte noch immer nichts.
    „Kommen Sie, Nina. Wollten Sie es ihm nicht heimzahlen? Nur ein bisschen?“
    „Nicht … nicht auf diese Weise, nein“, flüsterte sie und sah zu Sam hinüber.
    „Auch nicht, als Sie herausfanden, dass es da eine andere gab? Auch nicht, als Sie erfuhren, dass es sich bei dieser anderen um Ihre eigene Stiefmutter handelte?“
    Sie hob ruckartig den Kopf.
    „Es stimmt. Wir haben mit

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