Angst in deinen Augen
ein weiteres Formular mit Patientenanweisungen setzte. Ein Job, eine Last? Aber was hatte sie eigentlich erwartet? Von Anfang an hatte er die Rolle des kühlen, unbeteiligten Polizisten gespielt. Mr. Unnahbar. Gewiss, ab und zu war durch diese harte Schale ein bisschen Wärme gesickert, und manchmal war es ihr gelungen, einen Blick auf den Mann darunter zu erhaschen. Aber jedes Mal, wenn sie geglaubt hatte, den echten Sam Navarro zu berühren, war er zurückgezuckt, als ob er sich an ihr verbrannt hätte.
Was mache ich bloß mit dir, Sam?, fragte sie sich traurig. Und was sollte sie mit ihren Gefühlen für ihn tun?
Um sechs Uhr morgens war sie so erschöpft, dass sie kaum mehr aufrecht stehen konnte, aber schließlich war der Warteraum leer. Der größte Teil des Krankenhauspersonals hatte sich im Aufenthaltsraum zu einer wohlverdienten Kaffeepause versammelt. Nina wollte sich eben dazugesellen, als sie hörte, wie jemand ihren Namen rief.
Sie drehte sich um und sah Sam, der im Warteraum stand und sie unsicher ansah.
Er wirkte genauso erschöpft, wie sie sich fühlte, seine Augen waren gerötet, und seine Kinnpartie war von Bartstoppeln verschattet. Sobald ihr Blick auf ihn fiel, war ihre Wut auf ihn wie weggeblasen.
Mein armer, armer Sam, dachte sie ergriffen. Du gibst so viel, und was für einen Trost hält der Tag am Ende für dich bereit?
Sie ging zu ihm. Er sagte nichts; er schaute sie nur mit diesem Ausdruck von Müdigkeit an. Sie umarmte ihn. Einen Moment lang hielten sie einander fest, ihre Körper zitterten vor Erschöpfung. Dann hörte sie ihn leise sagen: „Komm, lass uns nach Hause gehen.“
Sie fühlte sich so warm an, so perfekt, wie sie so neben ihm lag. Als ob sie hierher gehörte, hierher, in sein Bett.
Sam schaute auf Nina, die noch fest schlief. Es war bereits früher Nachmittag. Er hätte eigentlich längst auf sein müssen, aber die Erschöpfung hatte ihren Tribut gefordert.
Er wurde langsam zu alt für diesen Job. Seit mehr als achtzehn Jahren war er mit Haut und Haaren Polizist. Obwohl er in gewissen Momenten seine Arbeit durchaus gehasst hatte, hatte er doch nie daran gezweifelt, dass er zum Polizisten berufen war. Deshalb bestürzte es ihn jetzt umso mehr, dass es für ihn im Augenblick nichts Unwichtigeres gab als sein Dasein als Polizist.
Das Einzige, was er wirklich wollte, war, eine Ewigkeit in diesem Bett zu verbringen und diese Frau anzuschauen. Sich an ihrem Anblick zu ergötzen. Erst wenn Nina schlief, fühlte er sich sicher genug, um sie wirklich anschauen zu können. Wenn sie wach war, fühlte er sich zu verletzlich, als ob sie seine Gedanken lesen und hinter die Mauern schauen könnte, die er um sein Herz errichtet hatte. Die Gefühle, die dort lauerten, wagte er nicht einmal sich selbst einzugestehen.
Doch während er sie jetzt betrachtete, wurde ihm klar, dass es keinen Sinn hatte, sich noch länger etwas vorzumachen: Er konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie wieder aus seinem Leben verschwand. Hieß das, dass er sie liebte? Er wusste es nicht.
Er wusste nur, dass die Ereignisse nicht den erwarteten Verlauf genommen hatten.
Letzte Nacht, als er beobachtet hatte, wie sie sich der Verletzten annahm, war ihm klar geworden, dass es so leicht wäre, sich in sie zu verlieben. Es wäre so ein Fehler.
In einem Monat, in einem Jahr würde sie in ihm das sehen, was er war: kein Held, sondern ein ganz normaler Bursche, der seinen Job, so gut er konnte, machte. Und in ihrem Krankenhaus würde sie weiterhin Seite an Seite mit Männern wie Robert Bledsoe zusammenarbeiten. Männer mit Doktortiteln und einem Haus am Wasser. Wie lange würde es dauern, bis sie des Cops, der sich zufälligerweise in sie verliebt hatte, müde wurde?
Er setzte sich auf und fuhr sich mit einer Hand durchs Haar, während er versuchte, die letzten Überreste des Schlafs abzuschütteln. Sein Gehirn funktionierte noch nicht richtig. Er brauchte Kaffee, irgendetwas, das ihn auf Trab brachte. Er hatte alle Hände voll zu tun, es gab so viele Spuren, denen man nachgehen musste.
Dann spürte er eine Berührung, weich wie Seide, an seinem Rücken. Und auf einmal war die Arbeit das Letzte, woran er dachte.
Er drehte sich um und begegnete ihrem Blick. Sie schaute ihn verschlafen an, ihr Lächeln war entspannt und zufrieden. „Wie spät ist es?“, murmelte sie.
„Fast drei.“
„Was, so lange haben wir geschlafen?“
„Wir hatten es nötig. Und wir sind sicher, Pressler hat draußen
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