Angst in deinen Augen
schließlich mit der Bemerkung zurechtgewiesen, dass er endlich den Mund halten und sich wie ein Mann benehmen sollte.
Und jetzt war er mit ein paar hässlichen Kratzern im Gesicht hier und schaute – unfassbar – zerknirscht drein.
„Tag Navarro“, sagte Liddell mit gedämpfter Stimme.
„Tag.“
„Ich … äh …“ Liddell räusperte sich und schaute sich um, als ob er sich versichern wollte, dass niemand zuhörte.
„Wie gehts Ihrer Frau?“, fragte Sam.
„Gut. Sie wird für eine Weile einen Gips tragen müssen. Glücklicherweise ist es kein komplizierter Bruch.“
„Sie hat sich letzte Nacht prima gehalten“, bemerkte Sam. Im Gegensatz zu dir.
„Tja, meine Frau hat ein Rückgrat aus Stahl. Tatsächlich ist das etwas, worüber ich mit Ihnen reden wollte.“
„Ach ja?“
„Schauen Sie, Navarro. Letzte Nacht … nun, vermutlich war ich ein bisschen voreilig. Ich meine, ich wusste ja nicht, dass Sie Informationen über die Bombe hatten.“
Sam sagte kein Wort. Er wollte diese erfreuliche Darbietung nicht unterbrechen.
„Im Grunde hätte mir natürlich klar sein müssen, dass Sie schon Ihre Gründe haben werden, wenn Sie das Gebäude räumen lassen. Aber verdammt noch mal, Navarro, ich habe einfach nur gesehen, dass bei dem wilden Ansturm Leute verletzt wurden. Ich dachte, Sie hätten wegen nichts und wieder nichts eine Panik ausgelöst, und ich …“ Er unterbrach sich, offenbar hatte er Mühe, das, was ihm auf der Zunge lag, hinunterzuschlucken. „Na egal, jedenfalls entschuldige ich mich.“
„Entschuldigung angenommen.“
Liddell nickte erleichtert.
„Jetzt können Sie Ihrer Frau gleich sagen, dass Sie aus dem Schneider sind.“
Liddells Gesichtsausdruck verriet Sam, dass er richtig vermutet hatte. Diese Entschuldigung war Mrs. Liddells Idee, gepriesen sei ihr stählernes Rückgrat.
„He, Sam!“ Gillis kam auf ihn zugerannt und packte ihn am Arm. „Los, komm mit.“
„Wohin?“
„Das Gefängnis hat ein Überwachungsvideo, das sie uns zeigen wollen. Der Schneemann hatte vor ein paar Tagen unbekannten Besuch.“
Sam verspürte einen Adrenalinstoß. „Spectre?“
„Nein, eine Frau.“
Das Essen war hervorragend. Die Gesellschaft war deprimierend.
Daniella, die über ihrem glänzenden grünen Gymnastikanzug einen aufreizenden Wickelrock trug, stocherte mürrisch in ihrem Salat herum, ohne die Platte mit gerösteter Entenbrust und wildem Reis zu beachten. Sie sprach nicht mit ihrem Gatten, und ihr Gatte sprach nicht mit ihr, und Nina fühlte sich zu unbehaglich, um mit einem von beiden zu sprechen.
Nach all den Fragen der Polizei war Daniellas Affäre mit Robert schließlich ans Licht gekommen. Doch obwohl Nina Daniella diesen Verrat nie verzeihen würde, konnte sie mit der Frau zumindest zivilisiert zu Abend essen.
Ninas Vater konnte das nicht. Er war immer noch schockiert über die Enthüllung. Seine Vorzeigeehefrau hatte sich nicht damit zufrieden geben wollen, reich geheiratet zu haben. Sie hatte auch noch einen jüngeren Mann gewollt. Nach drei gescheiterten Ehen hatte George Cormier es immer noch nicht verstanden, die richtige Ehefrau zu wählen.
Jetzt riecht es stark nach einer vierten Scheidung, dachte Nina. Sie schaute erst auf ihren Vater, dann auf Daniella. Obwohl sie ihren Vater liebte, konnte sie sich doch des Gefühls nicht erwehren, dass er und Daniella einander verdienten. Auf die schlimmst mögliche Weise.
Daniella legte ihre Gabel hin. „Bitte entschuldigt mich“, sagte sie. „Ich habe wirklich keinen Appetit. Ich glaube, ich gehe jetzt ins Kino.“
„Und was ist mit mir?“, brauste George auf. „Ich weiß, dass ich nur dein Mann bin, aber ein paar Abende in der Woche mit deinem langweiligen alten Gatten sind doch wohl nicht zu viel verlangt, oder? Wenn man an den Nutzen denkt, den du aus ihm ziehst.“
„Nutzen? Nutzen? “ Daniella sprang wütend auf. „Kein Geld der Welt kann einen dafür entschädigen, mit einem alten Bock wie dir verheiratet zu sein.“
„ Bock? “
„Alter Bock. Hast du mich gehört? Alt. “ Sie lehnte sich über den Tisch. „In jedem Sinn des Wortes.“
Jetzt sprang er ebenfalls auf. „Was erlaubst du dir, du Miststück … ah …“
„Na los! Gib mir Schimpfnamen. Ich hab für dich genauso viele auf Lager.“ Sie warf ihr blondes Haar zurück, drehte sich um und fegte aus dem Esszimmer.
George starrte ihr einen Moment fassungslos nach. Langsam sank er wieder auf seinen Stuhl. „Gott“, flüsterte er.
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