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Angst - Kilborn, J: Angst - Afraid

Titel: Angst - Kilborn, J: Angst - Afraid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Kilborn
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Gene? Wie brachte man einen Menschen dazu, seine Menschlichkeit zu vergessen?
    Streng tastete in der Nähe von Bernies Hüften nach dem Gurt, konnte ihn aber nicht finden. Er musste den Blick von dem Killer abwenden, um suchen zu können. Es würde vermutlich nur ein oder zwei Sekunden dauern, aber was konnte nicht alles in ein oder zwei Sekunden passieren?
    »Lieber nicht«, murmelte er, zog seine Hand zurück, nahm das Ka-Bar-Messer und stieg aus dem Jeep. Dann öffnete er die hintere Tür des Wagens und drückte die Klinge auf Bernies Hals, so dass sich darauf eine rosa schimmernde Narbe zeigte.
    »Eine Bewegung - und Sie sind ein toter Mann«, drohte er.
    Endlich fand er den Sicherheitsgurt, legte ihn dem Pyromanen um und klickte ihn fest.
    »Er hat mich verbrannt«, meinte Bernie so plötzlich, dass Streng zusammenzuckte. »Daddy hat mich verbrannt, damit ich aufhöre, mit Streichhölzern zu spielen.«
    Streng richtete sich auf. »Ist mir egal.«
    Bernie fuhr ungerührt fort. »Er hat meinen … Er hat meinen Arm auf den Küchenherd gehalten, und er … Er hat ihn nicht losgelassen. Ich musste zählen … Bis zehn musste ich zählen. Ich sehe es immer wieder vor mir, spüre es immer wieder.«

    Streng ging zum Beifahrersitz, holte die Büroschlüssel aus dem Handschuhfach und hob die Tüte mit Bernies Habseligkeiten vom Boden auf.
    Der Mann auf der Rückbank redete währenddessen weiter. »Ich will nicht … Ich will mich wirklich nicht daran erinnern. Hör auf. Daddy! Hör auf, mir wehzutun!« Bernie starrte Streng flehend an. »Tu doch etwas, dass es aufhört.« Dann fing er zu beben und zu stöhnen an, und die Tränen gruben Furchen in das getrocknete Blut auf seinen Wangen.
    »Wir haben nicht in der Hand, was mit uns passiert«, erinnerte sich Streng an die Worte seines Vaters, »sondern nur, wie wir darauf reagieren.«
    Sein Vater hatte als Holzfäller gearbeitet. Er war tief in den Wäldern gewesen und hatte sich den Zustand der Bäume dort angesehen, als ein Baum auf ihn stürzte und sein Bein einklemmte. Immerhin hatte er sein Jagdmesser bei sich, und so trank er zwei Tage lang Regenwasser, während er unentwegt an dem Baum und dem Boden unter sich herumhackte. Aber weder der Baum noch die Erde wollten nachgeben. Also machte er sich am dritten Tag an sein Bein. Streng erinnerte sich daran, wie ihm sein Vater die Geschichte erzählt hatte, wie er versucht hatte, nicht zu schreien, während er sich das Bein abhackte, um keine Kojoten anzulocken. Wie der Knochen nicht nachgab und er sich einen großen Stein suchen musste, um ihn zu zertrümmern. Dann war er fünf Kilometer weit während eines fürchterlichen Sturms durch den Wald gekrochen. Als er endlich gerettet war, verlangte er als Erstes ein Bier.
    Strengs Dad war nicht über sein Schicksal erbittert gewesen, sondern machte sich, sobald er wieder einigermaßen fit war, wieder zu dem Baum auf und schnitt sich ein Stück Stamm ab, um daraus ein Holzbein zu schnitzen. Dann eröffnete er
eine Bar in Safe Haven und nannte sie Stumpy. Bis zu seinem Tod lief sie hervorragend.
    Wenn das Leben dir Zitronen gibt, mach Limonade daraus. Noch ein Spruch seines Vaters. Dad hatte genügend solcher Sprüche auf Lager gehabt. Streng war sich nicht sicher, ob er den Mut seines Vaters besaß und in seiner Situation das Gleiche getan hätte. Aber er hoffte es. Und er hoffte auch, dass er es nie herausfinden würde.
    Bernie jedoch schien aus gänzlich anderem Holz geschnitzt zu sein.
    »WACHMACHER!«, brüllte er plötzlich gellend laut und stemmte sich gegen den Sicherheitsgurt. »ICH BRAUCHE MEINE WACHMACHER! DIE ERINNERUNGEN SOLLEN ENDLICH VERSCHWINDEN!«
    Streng verstand es als Aufforderung, sich aus dem Staub zu machen. Die Wasserwerke, wie jedes andere Gebäude in der Stadt auch, lagen im Dunkeln. Totaler Stromausfall. Streng fand eines von Bernies Feuerzeugen in der Tüte und zündete es an, um zumindest etwas sehen zu können. Er öffnete die Glastür des Eingangs und hinkte am Empfang vorbei einen gefliesten Gang hinunter in Richtung der öffentlichen Toilette. Dort betrachtete er sich im Spiegel und war nicht im Geringsten davon überrascht, dass er fürchterlich aussah. Das orangefarbene Licht und die flackernden Schatten erinnerten ihn an jene Zeit, als Höhlenbewohner noch um urzeitliche Lagerfeuer gehockt hatten.
    Streng stellte das Feuerzeug auf das Waschbecken und arretierte es so, dass die Flamme nicht ausging, ehe er seinen Gürtel und seine Hose

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