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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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einer Maschine auslieferte, die von einer anderen Person gesteuert wurde, nahm man stillschweigend die Möglichkeit des eigenen Untergangs in Kauf. Nach einer Weile sagte er: »Ich schätze, wir haben keine andere Wahl, als der verdammten Kiste den Saft abzudrehen.«
    Ohne sich umzudrehen, sagte Hoffmann: »Aber damit erreichen wir nur, dass der Handel abbricht. Dann bauen wir unsere aktuellen Positionen nicht ab und stehen da wie einbetoniert.«
    Im ganzen Handelsraum waren halb unterdrückte Ausrufe der Überraschung und des Entsetzens zu hören. Ein Quant nach dem anderen verließ seinen Arbeitsplatz und lief herbei, um zu sehen, was Hoffmann tat. Wie Zuschauer, die um ein großes Puzzle herumstanden, beugte sich der eine oder andere gelegentlich vor und machte einen Vorschlag: Vielleicht sollte er es mal damit probieren? Vielleicht wäre es besser, es mal andersrum zu versuchen? Hoffmann achtete nicht auf sie. Keiner kannte VIXAL so gut wie er. Er hatte die Maschine bis ins kleinste Detail entworfen.
    Über die großen Fernsehschirme liefen die üblichen Nachmittagsnachrichten von der Wall Street. Sie wurden immer noch von den Unruhen in Athen gegen die Sparmaßnahmen der griechischen Regierung dominiert. Wurde Griechenland zahlungsunfähig? Griff die Krise auf andere Länder über? Kollabierte der Euro? Und der Hedgefonds machte immer noch in einem Ausmaß Profit, das unheimlich war. Quarry warf kurz einen Blick auf einen der anderen Monitore, um ihre aktuelle Ergebnisrechnung zu überprüfen: Ihr Tagesplus belief sich inzwischen auf fast dreihundert Millionen Dollar. Irgendwie fragte er sich, warum sie so verzweifelt versuchten, den Algorithmus zu umgehen: Sie hatten mit einem Haufen Silikonchips König Midas auferstehen lassen. Warum sollte seine phänomenale Ertragskraft nicht im Interesse der Menschheit sein?
    Mit der theatralischen Geste eines Konzertpianisten am Ende seines Vortrags hob Hoffmann plötzlich die Hände von der Tastatur. »Es hat keinen Sinn. Die Reak tion ist gleich null. Ich dachte, wir könnten zumindest noch geordnet liquidieren, aber das ist offensichtlich keine Option mehr. Das ganze System muss komplett abgeschaltet und in Quarantäne geschoben werden, bis wir herausgefunden haben, was da schiefläuft.«
    »Und wie machen wir das?«, fragte Ju-Long.
    »Warum nicht auf die gute alte Art?«, sagte Quarry. »Warum nicht VIXAL vom Netz nehmen und den Brokern per Telefon und E-Mail Bescheid geben, dass sie anfangen sollen, unsere Positionen abzubauen?«
    »Wir müssen denen eine plausible Erklärung liefern, warum wir nicht mehr mit einem Algorithmus arbeiten wollen, dessen Profite durch die Decke schießen.«
    »Kein Problem«, sagte Quarry. »Wir ziehen den Stecker, und dann sagen wir denen, dass wir einen dramatischen Stromabfall in unserem Computerraum haben und uns aus dem Markt ausklinken müssen, bis wir das repariert haben. Und wie alle brillanten Lügen hat auch diese den Vorteil, dass sie fast der Wahrheit entspricht.«
    »Eigentlich müssen wir ja nur noch zwei Stunden und fünfzig Minuten durchhalten«, sagte van der Zyl. »Dann schließen die Märkte sowieso. Und übermorgen ist Wochenende. Bis Montagmorgen ist unser Buch wieder ausgeglichen, und wir sind auf der sicheren Seite – außer die Märkte ziehen in der Zwischenzeit stark an.«
    »Der Dow ist schon um ein volles Prozent gefallen«, sagte Quarry. »Der S&P auch. Aus der Eurozone drückt der ganze Staatsschuldenmüll rein. Keine Chance, dass der Markt heute mit einem Plus schließt.« Hoffmann, Quarry, Ju-Long und van der Zyl schauten sich an. »Also, machen wir das so? Einverstanden?« Alle nickten.
    »Ich schalte ihn ab«, sagte Hoffmann.
    »Ich komme mit«, sagte Quarry.
    »Nein. Ich habe ihn eingeschaltet, ich schalte ihn auch aus.«
    Der Weg vom Handelsraum zum Computerraum kam ihm sehr lang vor. Die Blicke aller begleiteten ihn wie eine schwere Last. Wenn er sich in einem Science-Fiction-Film befände, schoss es ihm durch den Kopf, dann würde ihm jetzt sicher der Zugang zu den Prozessoren verwehrt. Doch als er sein Gesicht vor den Scanner hielt, glitten die Bolzen zurück, und die Tür öffnete sich. Aus dem lauten, kühlen Raum blickten ihn die blinkenden Lämpchen von tausend Prozessoren an wie Augen aus einem dunklen Wald. Es kam ihm vor wie Mord, genau wie damals am CERN , als er all diejenigen für Mörder hielt, die ihm sein Projekt genommen hatten. Trotzdem öffnete er den Metallkasten und streckte die

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