Angst
Hand nach dem Hebel des Trennschalters aus. Es war nur das Ende einer Phase, sagte er sich: Die Arbeit würde weitergehen, wenn nicht unter seiner Regie, dann unter der eines anderen. Er legte den Hebel um, und binnen weniger Sekunden erloschen die Lämpchen und verstummte der Lärm. Nur das Surren der Klimaanlage störte die kühle Stille. Es war wie in einer Leichenhalle. Er drehte sich um und ging zu dem hellen Viereck der offenen Tür zurück.
Als er sich den Quants näherte, die sich um die Computerbildschirme drängten, drehten sie sich alle um und sahen ihn an. Der Ausdruck in ihren Gesichtern war ihm ein Rätsel. »Was ist passiert?«, fragte Quarry. »Hat er nicht reagiert?«
»Doch, ich habe ihn abgeschaltet.« Er schaute an Quarrys verblüfftem Gesicht vorbei auf die Bildschirme. VIXAL -4 handelte weiter. Verwirrt setzte er sich vor das Terminal und blickte zwischen den verschiedenen Monitoren hin und her.
»Sehen Sie noch mal nach«, sagte Quarry leise zu einem der Quants.
»So weit bin ich noch nicht, Hugo, einen verdammten Schalter kann ich noch bedienen«, sagte Hoffmann. »So verrückt bin ich noch nicht, dass ich AN und AUS nicht unterscheiden kann. Mein Gott, schau dir das an!« VIXAL handelte in jedem Markt weiter: Er shortete den Euro, stockte den Bestand des Fonds an US -Staatsanleihen auf und baute seine Position in VIX -Futures aus.
Von der Tür zum Computerraum aus rief der Quant: »Der Strom ist komplett abgeschaltet!«
Sofort erfüllte aufgeregtes Geflüster den Handelsraum.
»Wenn er nicht auf unserer Hardware ist, wo ist der Algorithmus dann?«, fragte Quarry.
Hoffmann sagte nichts.
Dann erscholl Rajamanis Stimme im Raum. »Ich glaube, das ist eine Frage, auf die die Aufsichtsbehörden sicher auch eine Antwort wollen.«
Hinterher konnte niemand mehr genau sagen, wie lange Rajamani sie alle schon beobachtet hatte. Einer sagte, dass er die ganze Zeit in seinem Büro gewesen sei. Bei Hoffmanns Rede im Handelsraum habe er Rajamanis Finger gesehen, als der die Lamellen der Jalousie gespreizt hätte. Ein anderer behauptete, ihn an einem Terminal im Sitzungszimmer gesehen zu haben, wie er Daten auf einen USB -Stick geladen habe. Wieder ein anderer, ein indischer Landsmann, gestand sogar, dass Rajamani in der Gemeinschaftsküche versucht habe, ihn als Informanten für Firmeninterna zu gewinnen. In der zunehmenden Hysterie, die bei Hoffmann Investment Technologies um sich griff und die die Angestellten in Abtrünnige und Jünger, Ketzer und Märtyrer spaltete, war es nicht immer leicht, die Wahrheit zu ermitteln. Nur in einem Punkt waren sich alle einig: Quarry hatte einen schweren Fehler begangen, als er den Leiter des Risikomanagements nach dessen Rausschmiss nicht sofort vom Sicherheitspersonal aus dem Gebäude hatte entfernen lassen. Im Chaos der Ereignisse hatte er ihn ganz einfach vergessen.
Rajamani stand am Rand des Handelsraums, in der Hand eine kleine Pappschachtel, die seine persönlichen Dinge enthielt: die Fotos von seinem Universitätsabschluss, seiner Hochzeit und seinen Kindern; eine Dose Darjeeling- Tee, die er im Kühlschrank der Gemeinschaftsküche aufbewahrt hatte und die niemand sonst hatte anrühren dürfen; einen Zimmerkaktus und ein gerahmtes, handschriftliches Dankesschreiben vom Leiter der Scotland-Yard-Abteilung für schwere Betrugsfälle. Rajamani hatte zur Aufklärung irgendeines gewaltigen Falles beigetragen, der eine neue Ära der Polizeiarbeit der City hatte einläuten sollen, dann aber in der Revision geräuschlos beerdigt worden war.
»Hab ich Ihnen nicht gesagt, dass Sie sich verpissen sollen?«, sagte Quarry barsch.
»Ich bin gerade dabei«, erwiderte Rajamani. »Und Sie werden sicher erfreut zur Kenntnis nehmen, dass ich schon morgen früh einen Termin in der Genfer Dependance des Schweizer Finanzministeriums habe. Ich möchte jeden Einzelnen von Ihnen darauf hinweisen, dass er mit Strafverfolgung, Gefängnis und millionenschwerer Geldstrafe zu rechnen hat, sollte er in einem für den Handel mit Wertpapieren nicht geeigneten Betrieb weiterarbeiten. Die Technologie ist eindeutig gefährlich und völlig unbeherrschbar. Ich kann Ihnen versprechen, Alex und Hugo, dass die SEC und die FSA Untersuchungen einleiten und Ihnen den Zugang zu jedem Markt in Amerika und London entziehen werden. Schande über Sie. Schande über Sie alle.«
Es zeugte von Rajamanis Selbstbewusstsein, dass er diese Rede halten konnte, ohne dass die Teedose und der Zimmerkaktus
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