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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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seine Würde schmälerten. Ein letztes Mal ließ er einen zornigen, verächtlichen Blick über die Versammelten schweifen, dann reckte er das Kinn vor und marschierte festen Schrittes auf den Empfangsraum zu. Nicht wenigen kamen dabei die Bilder der Angestellten von Lehman Brothers in den Sinn, wie sie mit ihren Pappkartons unter dem Arm ihren Arbeitsplatz verließen.
    »Ja, gehen Sie nur, verschwinden Sie«, rief Quarry ihm hinterher. »Sie werden feststellen, dass man für zehn Milliarden Dollar jeden Menge Anwälte kriegt. Wir werden Sie persönlich wegen Vertragsbruchs haftbar machen. Wir machen Sie fertig!«
    »Warten Sie!«, rief Hoffmann.
    »Lass ihn, Alex«, sagte Quarry. »Die Genugtuung hat er nicht verdient.«
    »Aber er hat recht, Hugo. Die Gefahr ist real. Wenn VIXAL sich unserer Kontrolle entzieht, dann könnte das ein echtes systemisches Risiko bedeuten. Er muss hierbleiben, bis wir Bescheid wissen.«
    Obwohl Quarry protestierte, lief Hoffmann Rajamani hinterher, der seine Schritte beschleunigte. Rajamani durchquerte den Empfang und erreichte den Aufzug. Hoffmann blieb ein paar Meter vor ihm stehen. Sie waren allein im Gang. »Gana!«, sagte Hoffmann. »Wir müssen reden.«
    »Ich habe Ihnen nichts zu sagen, Alex.« Rajamani umklammerte seine Pappschachtel. Er stand mit dem Rücken zum Aufzug und drückte mit dem Ellbogen auf den Knopf. »Es ist nichts Persönliches, tut mir leid.« Die Tür öffnete sich. Rajamani drehte sich um, machte einen Schritt nach vorn und stürzte aus Hoffmanns Blickfeld. Die Tür schloss sich wieder.
    Für ein paar Sekunden stand Hoffmann regungslos da. Er war sich nicht sicher, was er da gerade gesehen hatte. Vorsichtig ging er zum Aufzug und drückte auf den Knopf. Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf den leeren Glasschacht frei. Er lugte über den Rand in eine Tiefe von etwa fünfzig Metern, in der die durchsichtige Röhre in der stillen Dunkelheit der unterirdischen Garage verschwand. »Gana!«, rief er. Keine Antwort. Er lauschte, konnte aber keine entsetzten Schreie hören. Rajamani musste so schnell gefallen sein, dass niemand es bemerkt hatte.
    Er rannte durch den Flur zum Notausgang und hastete die Betontreppe halb laufend, halb springend Stockwerk um Stockwerk bis in die Tiefgarage hinunter. Er lief zum Aufzug und versuchte mit den Fingern, die Türblätter aufzuziehen, die aber immer wieder zurückfederten. Er schaute sich nach irgendeinem geeigneten Werkzeug um, sah eine Metalltür mit einem Blitz-Symbol darauf und öffnete sie. Ein Lagerraum. Zwischen Besen, Schaufeln, Eimern und Hämmern fand er ein großes, fast einen halben Meter langes Stemmeisen. Er lief zurück zum Aufzug, rammte das Eisen in den Spalt zwischen den Türblättern, drückte nach links, nach rechts. Die Tür öffnete sich so weit, dass er erst einen Schuh und dann sein Knie in den Spalt schieben konnte. Er versuchte, auch den Rest seines Beins in die Lücke zu pressen, als plötzlich irgendein automatischer Mechanismus ausgelöst wurde und die Türblätter zur Seite glitten.
    In dem Licht, das von den oberen Stockwerken aus in den Aufzugsschacht fiel, sah er ihn. Rajamani lag auf der Seite, im Umkreis seines Kopfes breitete sich eine Blutlache von der Größe eines Speisetellers aus. Die Fotografien lagen verstreut um ihn herum. Hoffmann sprang hinunter. Glassplitter knirschten unter seinen Schuhsohlen. Unpassender Teegeruch stieg ihm in die Nase. Hoffmann bückte sich und nahm Rajamanis Hand, die sich warm und weich anfühlte. Er schauderte. Zum zweiten Mal an diesem Tag fühlte er einem Mann den Puls, zum zweiten Mal ohne Erfolg. Hinter ihm, in etwa einem Meter Höhe, schloss sich die Aufzugstür. Die Liftkabine setzte sich in Bewegung und glitt abwärts. Hoffmann schaute sich panisch um. Die Lichtsäule über ihm verlor schnell an Höhe, während der Aufzug den fünften Stock passierte, dann den vierten. Er legte sich auf den Rücken, packte mit beiden Händen das Stemmeisen und hielt es neben seinem Kopf senkrecht in die Höhe – wie einen Speer zur Abwehr einer angreifenden Bestie. Er spürte den öligen Luftzug in seinem Gesicht. Das Licht verblasste, verschwand dann völlig. Etwas Schweres berührte seine Schulter, dann zitterte das Stemmeisen in seinen Händen wie ein hölzerner Stützpfeiler in einem Grubengang. Einige Sekunden lang konnte er spüren, wie das Eisen sich spannte. Es war vollkommen dunkel. Blindlings schrie er den Boden der Liftkabine an, die nur Zentimeter

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