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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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amerikanische Börse schwach eröffnete, was wiederum dazu führen würde, dass bis zum Nachmittag die Aussicht auf Verluste des Hedgefonds deutlich sinken würde. Hoffmann atmete erleichtert auf, er verspürte sogar eine Art von prickelndem Stolz. Wieder einmal erwies sich VIXAL als schlauer als die Menschen um ihn herum, ja sogar als schlauer als sein Erfinder.
    Gut gelaunt fuhr er mit dem Lift ins Erdgeschoss und bog um die Ecke in die Lobby. Eine massige Gestalt in einem billigen dunklen Anzug erhob sich aus einem Sessel und begrüßte ihn. Von all dem Gehabe der Reichen war Hoffmann nichts je so absurd erschienen wie der Anblick eines vor einem Sitzungssaal oder Restaurant wartenden Bodyguards. Er hatte sich oft gefragt, gegen wessen Attacken sich eigentlich die Reichen wappnen wollten – außer vielleicht die ihrer eigenen Aktionäre oder von Mitgliedern ihrer eigenen Familie. Doch an diesem Tag war er froh, als die höfliche Schlägerfigur auf ihn zuging, ihren Ausweis zückte und sich als Olivier Paccard, l’homme de la sécurité, vorstellte.
    »Wenn Sie bitte noch einen kurzen Moment warten würden, Doktor Hoffmann«, sagte Paccard. Er hob seine Hand wie jemand, der höflich um Ruhe bat, und schaute nach draußen. Aus seinem Ohr hing ein Kabel. »In Ordnung«, sagte er. »Wir können.«
    Er ging schnell zum Eingang und drückte genau in dem Moment mit dem Handballen auf den Exit-Knopf, als am Randstein ein langer, schwarzer Mercedes vorfuhr. An dessen Steuer saß der Fahrer, der Hoffmann vom Krankenhaus abgeholt hatte. Paccard verließ das Gebäude als Erster und öffnete die hintere Tür. Als Hoffmann einstieg, spürte er kurz die Hand des Bodyguards auf seinem Nacken. Hoffmann hatte sich es kaum bequem gemacht, da war Paccard schon neben dem Fahrer eingestiegen, waren die Türen geschlossen und verriegelt und hatte sich der Wagen in den Mittagsverkehr eingefädelt. Die ganze Prozedur konnte höchstens zehn Sekunden gedauert haben.
    Mit quietschenden Reifen bogen sie scharf links in eine Seitenstraße ein, an deren Ende man den See und die in der Ferne aufragenden Berge sehen konnte. Die Sonne verbarg sich immer noch hinter den Wolken. Die hohe weiße Säule des Jet d’Eau stieg 140 Meter hoch in den grauen Himmel auf und zerplatzte an seiner Spitze zu einem kühlen Regen, der auf die mattschwarze Oberfläche des Sees hinabstürzte. Im trüben Licht leuchteten die grellen Blitzlichter der Touristen auf, die sich gegenseitig vor der Fontäne fotografierten.
    Der Mercedes beschleunigte, schlüpfte kurz vor Rot über eine Ampel und bog dann erneut scharf links in die Schnellstraße ein. Nur Sekunden später, neben dem Jardin Anglais, mussten sie wegen eines unsichtbaren Hindernisses wieder abbremsen. Paccard reckte den Hals vor, um zu sehen, was da los war.
    In dieser Gegend joggte Hoffmann manchmal, wenn er ein Problem zu lösen hatte: vom Jardin Anglais zum Parc des Eaux-Vives und wieder zurück, wenn nötig zwei- oder dreimal, ohne mit jemand zu reden, ohne irgendetwas wahrzunehmen, bis er die Antwort gefunden hatte. Er hatte die Gegend nie richtig erkundet, sodass er nun etwas verwundert das unbekannt Vertraute betrachtete: den Spiel platz mit den blauen Plastikrutschen, die Crêperie im Freien unter den Bäumen, den Zebrastreifen, vor dem er immer auf der Stelle joggen musste, bis die Ampel umsprang. Zum zweiten Mal an diesem Tag fühlte er sich wie ein Fremder im eigenen Leben. Plötzlich verspürte er den Wunsch, den Fahrer anhalten zu lassen und auszusteigen. Der Gedanke war ihm kaum durch den Kopf gegangen, da rollte der Mercedes weiter. Nachdem sie den belebten Verkehrsknoten am Ende der Pont du Mont Blanc hinter sich gelassen hatten, ging es wieder schneller vorwärts. In westlicher Richtung schlängelten sie sich zwischen den langsameren Lastern und Bussen hindurch den Galerien und Antiquitätenläden an der Plaine de Plainpalais entgegen.

Acht
    Es gibt keine Ausnahme von der Regel, dass jedes organische Wesen sich auf natürliche Weise in dem Grade vermehre, dass, wenn es nicht durch Zerstörung litte, die Erde bald von der Nachkommenschaft eines einzigen Paares bedeckt seyn würde.
    Charles Darwin
D ie Entstehung der Arten , 18 5 9
    Contours de l’homme: Une exposition de l’œuvre de Gabrielle Hoffmann – wie viel eindrucksvoller das auf Französisch klang, dachte sie. Ihre Ausstellung in der Galerie d’Art Contemporain Guy Bertrand war auf nur eine Woche angesetzt. Der kleine, weiß

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