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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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hätte er wohl kaum vergessen. Es musste sich um Betrug han deln. Er ging an Marie-Claude vorbei, die tippend an ihrem Arbeitsplatz saß, betrat sein Büro und setzte sich sofort an den Schreibtisch. Er loggte sich in den Computer ein und öffnete sein Postfach. Und da war sie tatsächlich: seine Anweisung vom 17. Juni letzten Jahres, 42 032 127,88 US -Dollar an die Royal Grand Cayman Bank Limited zu transferieren. Und direkt darunter die Mitteilung der Hausbank des Hedgefonds vom 3. April dieses Jahres, dass vom selben Konto 43 188 037,09 US -Dollar zurücküberwiesen worden waren.
    Er rechnete im Kopf nach. Welcher Betrüger zahlte seinem Opfer einen derart horrenden Betrag zurück – plus exakt 2,75 Prozent Zinsen?
    Er nahm seine angeblich echte E-Mail genau unter die Lupe. Sie enthielt keine Anrede und war nicht gezeichnet, sie enthielt lediglich die übliche Standardanweisung, die Summe X auf das Konto Y zu überweisen. LJ hatte die Anweisung sicher weitergeleitet, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern – im Vertrauen darauf, dass ihr Intranet von der besten Firewall abgeschirmt war, die man sich für Geld kaufen konnte, und dass die Konten ohnehin zu gegebener Zeit elektronisch abgeglichen würden. Wenn das Geld in Form von Goldbarren oder Koffern voller Bargeld den Besitzer gewechselt hätte, dann wären sie vielleicht vorsichtiger gewesen. Aber es handelte sich nicht um Geld im physischen Sinne, es handelte sich nur um Reihen und Abfolgen von glühenden Symbolen, die nicht substanzieller waren als Protoplasma. Deshalb waren sie ja auch so dreist, exakt so damit umzugehen, wie sie es taten.
    Er überprüfte, um welche Zeit er die E-Mail für den Überweisungsauftrag angeblich abgeschickt hatte: genau um Mitternacht.
    Er kippte seinen Stuhl zurück und betrachtete nachdenklich den Rauchmelder, der über seinem Schreibtisch an der Decke angebracht war. Er blieb zwar oft lange im Büro, aber nie bis Mitternacht. Deshalb musste die E-Mail, wenn sie echt war, von seinem Terminal zu Hause abgeschickt worden sein. Wenn er zu Hause in seinem Arbeitszimmer in den Computer schaute, würde er dann diese E-Mail und die Bestellung an den holländischen Buchhänd ler f inden? War das vorstellbar? Litt er möglicherweise an einer Art Jekyll-und-Hyde-Syndrom? Tat die eine Hälfte seines Gehirns Dinge, von denen die andere nichts wusste?
    Spontan zog er die Schublade auf, in die er die CD gelegt hatte, nahm sie heraus und schob sie in das Laufwerk seines Computers. Das Starten des Programms dauerte ein paar Sekunden, dann erschien auf dem Bildschirm ein Verzeichnis der zweihundert monochromen Aufnahmen vom Inneren seines Kopfes. Er klickte sich schnell durch sie hindurch und versuchte, diejenige zu finden, die die Aufmerksamkeit der Radiologin erregt hatte. Es war aussichtslos. Beim schnellen Durchklicken der Fotos schien sein Gehirn aus dem Nichts aufzutauchen, wie eine Wolke aus grauer Materie zu explodieren, um sich dann wieder zusammenzuziehen und zu verschwinden.
    Er drückte auf die Sprechanlage. »Marie-Claude, in meiner privaten Adressdatei finden Sie eine Doktor Jeanne Polidori. Machen Sie bitte für morgen einen Termin für mich aus. Sagen Sie ihr, es ist dringend.«
    »Ja, Doktor Hoffmann. Für welche Zeit?«
    »Egal. Ich fahre jetzt zu der Ausstellung meiner Frau. Haben Sie die Adresse der Galerie?«
    »Ja, Doktor Hoffmann. Wann genau möchten Sie denn fahren?«
    »Sofort. Rufen Sie mir bitte einen Wagen.«
    »Monsieur Genoud hat veranlasst, dass jederzeit ein Fahrer für Sie bereitsteht.«
    »Ah ja, richtig, hatte ich ganz vergessen. Sagen Sie ihm, dass ich gleich unten bin.«
    Er nahm die CD aus dem Computer, legte sie zusammen mit dem Darwin-Buch zurück in die Schublade und zog seinen Regenmantel an. Als er durch den Handelsraum ging, schaute er zum Sitzungszimmer. Durch eine Lücke in den Jalousien sah er Elmira Gulzhan und ihren Anwalt respektive Liebhaber über ein iPad gebeugt. Quarry stand mit verschränkten Armen hinter ihnen und schaute blasiert auf sie hinunter. Etienne Mussard hatte den anderen den Rücken zugewandt. Er saß gebückt vor einem großen Taschenrechner, in den er langsam, seinem Alter gemäß, Zahlen eintippte.
    An der gegenüberliegenden Wand präsentierten Bloom berg und CNBC rote Kurven, die allesamt nach unten zeigten. Die europäischen Märkte hatten ihre Anfangsgewinne nicht halten können und fielen jetzt schnell. Das würde fast zwangsläufig zur Folge haben, dass die

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