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Angst

Angst

Titel: Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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leider können depressive Störungen wie die, unter denen Sie gelitten haben, immer wieder auftreten.« Sie sah ihre Behandlungsaufzeichnungen durch und schüttelte den Kopf. »Das ist jetzt achteinhalb Jahre her, dass Sie das letzte Mal bei mir waren. Helfen Sie mir auf die Sprünge: Was hatte Ihre Krankheit damals ausgelöst?«
    Hoffmann hatte das jetzt schon so lange verdrängt, dass er Mühe hatte, sich wieder daran zu erinnern. »Ich hatte ein paar Schwierigkeiten bei meiner Forschungsarbeit am CERN . Die hatten eine interne Untersuchung zur Folge, die mich schwer belastet hat. Mit dem Ergebnis, dass mein Projekt gestoppt wurde.«
    »Was war das für ein Projekt?«
    »Maschinelles Lernen … künstliche Intelligenz.«
    »Und standen Sie in letzter Zeit unter ähnlichem Stress?«
    »Ja, schon«, gab er zu.
    »Welcher Art waren diese Stresssymptome?«
    »Ich hatte keine, das ist ja das Sonderbare.«
    »Lethargie? Schlaflosigkeit?«
    »Nein.«
    »Impotenz?«
    Er dachte an Gabrielle. Er fragte sich, wo sie jetzt war. »Nein«, sagte er leise.
    »Was ist mit den Selbstmordfantasien, die Sie früher hatten? Die waren damals sehr lebhaft, sehr detailliert. Sind die wieder aufgetreten?«
    »Nein.«
    »Der Mann, der Sie in Ihrem Haus überfallen hat … das ist der andere Mann in dieser Internet-Unterhaltung, richtig?«
    Hoffmann nickte.
    »Wo ist er jetzt?«
    »Darüber möchte ich nicht sprechen.«
    »Doktor Hoffmann, wo ist er jetzt?« Als er nicht antwortete, sagte sie: »Zeigen Sie mir Ihre Hände.«
    Zögernd stand er auf, ging zum Schreibtisch und streckte die Hände aus. Er kam sich wieder vor wie der kleine Junge, der vor dem Essen seine gewaschenen Hände vorzeigen musste. Ohne sie zu berühren, begutachtete sie seine zerkratzte Haut und musterte ihn dann gründlich von Kopf bis Fuß.
    »Waren Sie in eine Schlägerei oder so etwas verwickelt?«
    Er zögerte lange, bevor er antwortete. »Ja. Es war Notwehr.«
    »In Ordnung. Bitte, setzen Sie sich wieder.«
    Er setzte sich.
    »Meiner Meinung nach sollten Sie sofort einen Spezialisten aufsuchen«, sagte sie. »Gewisse Erkrankungen wie Schizophrenie oder Paranoia können dazu führen, dass die betreffende Person sich auf für sie völlig untypische Art verhält und sich hinterher an nichts mehr erinnert. Das muss in Ihrem Fall nicht zutreffen, aber ich glaube nicht, dass wir das Risiko eingehen sollten, meinen Sie nicht auch? Vor allem, wenn Ihre Hirn- CT Anomalien gezeigt hat.«
    »Ja, vielleicht.«
    »Ich möchte kurz mit meinem Kollegen darüber sprechen. Wenn Sie vielleicht unten so lange Platz nehmen wollen? Vielleicht rufen Sie Ihre Frau an und sagen Ihr, wo Sie sind. Einverstanden?«
    »Ja, sicher.«
    Er wartete darauf, dass sie aufstand, um ihn zur Tür zu be gleiten, aber sie blieb sitzen und behielt ihn aufmerksam im Auge. Schließlich stand er auf und nahm seinen Laptop vom Schreibtisch. »Danke«, sagte er. »Ich warte dann unten.«
    »Schön. Dauert nur ein paar Minuten.«
    An der Tür drehte er sich um. Ihm war etwas eingefallen. »Was Sie da auf dem Computerschirm haben, ist das meine Krankenakte?«
    »Ja.«
    »Die haben Sie im Computer?«
    »Ja. Warum?«
    »Was genau alles?«
    »Meine Aufzeichnungen zu Ihrem Fall. Die Behandlungsmethoden, verschriebene Medikamente, Therapiesitzungen und so weiter.«
    »Zeichnen Sie die Sitzungen mit Ihren Patienten auf?«
    Sie zögerte. »Manchmal, ja.«
    »Meine auch?«
    Wieder zögerte sie. »Ja.«
    »Was passiert dann damit?«
    »Meine Sekretärin tippt sie ab.«
    »Und die Aufzeichnungen bewahren Sie in Ihrem Computer auf?«
    »Ja.«
    »Darf ich sie sehen?« In ein paar schnellen Schritten ging er zu ihrem Schreibtisch.
    Sie wollte schnell auf die Maus drücken und das Dokument schließen, aber er packte ihr Handgelenk.
    »Bitte, lassen Sie mich einen Blick darauf werfen.«
    Er entwand ihr die Maus. Sie griff nach der Schublade, wo sie das Pfefferspray aufbewahrte. Er blockierte die Schublade mit seinem Bein.
    »Ich werde Ihnen nichts tun«, sagte er. »Ich will nur wissen, was ich Ihnen damals erzählt habe. Geben Sie mir eine Minute, dann verschwinde ich.«
    Als er die Angst in ihren Augen sah, bekam er ein schlechtes Gewissen. Aber er ließ sich nicht abwimmeln, und schließlich gab sie nach. Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. Er setzte sich vor den Computer. Sie ging zur Tür und schaute ihm aus sicherer Entfernung zu. Sie zog sich die Strickjacke um den Körper, als wäre ihr kalt. »Wo haben Sie

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