Angst
Gott habe ihm angeblich den Auftrag erteilt, sie umzubringen. Der Mann sei später wieder völlig gesund geworden. Aber seitdem bewahre sie immer Pfefferspray in ihrem Schreibtisch auf. Sie hatte die Schublade geöffnet und Hoffmann eine schwarze Dose mit Sprühdüse gezeigt.
Sie verschwendete keine Zeit mit Begrüßungsfloskeln. »Doktor Hoffmann, ich habe schon Ihrer Sekretärin am Telefon gesagt, dass ich Sie ohne Überweisung vom Krankenhaus nicht behandeln kann.«
»Deshalb bin ich nicht gekommen.« Er öffnete den Laptop. »Ich möchte nur, dass Sie sich etwas ansehen. Könnten Sie wenigstens das für mich tun?«
»Kommt drauf an, was es ist.« Sie schaute ihn jetzt genauer an. »Was ist mit Ihrem Kopf passiert?«
»Wir hatten einen Einbrecher im Haus. Er hat mir von hinten auf den Kopf geschlagen.«
»Waren Sie damit beim Arzt?«
Hoffmann beugte den Kopf vor und zeigte ihr die Naht.
»Wann ist das passiert?«
»Letzte Nacht. Heute Morgen.«
»Waren Sie im Universitätsspital?«
»Ja.«
»Haben die ein CT gemacht?«
Er nickte. »Sie haben ein paar weiße Punkte gefunden. Die könnten von dem Schlag stammen, aber es könnte auch etwas anderes sein – eine Vorerkrankung.«
»Doktor Hoffmann«, sagte sie mit sanfterer Stimme. »Für mich klingt das so, als wollten Sie doch, dass ich Sie behandele.«
»Nein.« Er stellte den aufgeklappten Laptop vor ihr auf den Schreibtisch. »Ich möchte nur Ihre Meinung über das hier hören.«
Sie schaute ihn unschlüssig an und nahm ihre Brille. Sie trug sie immer noch an einer Kette um den Hals, dachte er. Sie setzte die Brille auf und schaute auf den Bildschirm. Während sie das Dokument durchblätterte, beobachtete er ihren Gesichtsausdruck. Irgendwie betonte die Hässlichkeit der Narbe die Schönheit des übrigen Gesichts – auch das war ihm schon damals aufgefallen. Seiner Meinung nach hatte seine Heilung mit dem Tag begonnen, als er das entdeckt hatte.
»Nun«, sagte sie und zuckte mit den Achseln. »Das ist offenbar die Unterhaltung zweier Männer, von denen der eine über das Töten fantasiert und der andere über das Sterben und die Erfahrung des Todes. Die Sprache ist gekünstelt, unbeholfen. Schätze, ein Internet-Chatroom, eine Website, irgendwas in der Richtung. Der, der töten will, spricht kein fließendes Englisch, der das Opfer sein will, schon.« Sie schaute ihn über den Brillenrand an. »Aber das haben Sie doch bestimmt selbst schon herausgefunden.«
»Kommt so was häufig vor?«
»Absolut, und jeden Tag häufiger. Das ist eine der dunkleren Seiten des Netzes, mit denen wir fertigwerden müssen. Das Internet führt Menschen zusammen, die früher glücklicherweise gar nicht die Möglichkeit gehabt hätten, sich kennenzulernen, die vielleicht nicht mal gewusst haben, dass sie so gefährliche Vorlieben überhaupt hatten. Das kann zu katastrophalen Ergebnissen führen. Die Polizei hat mich wegen solcher Dinge schon mehrmals um Rat gefragt. Es gibt Websites, die zu Selbstmordpakten aufrufen und besonders junge Menschen ansprechen. Es gibt Pädophilen-Websites, Kannibalen-Websites …«
Hoffmann setzte sich und legte den Kopf in seine Hände. »Dieser Mann, der über seinen Tod fantasiert, das bin ich, oder?«, sagte er.
»Nun ja, Doktor Hoffmann, das müssten Sie eigentlich besser wissen als ich. Können Sie sich nicht daran erinnern, ob Sie das geschrieben haben?«
»Nein. Aber es kommen Gedanken darin vor, die ich als meine wiedererkenne – Träume, die ich hatte, als ich krank war. Und anscheinend habe ich in letzter Zeit noch ein paar andere Dinge getan, an die ich mich nicht erinnere.« Er sah sie an. »Könnte irgendwas mit meinem Gehirn nicht stimmen, was dafür verantwortlich ist? Was meinen Sie? Könnte ich Dinge tun, die ganz untypisch für mich sind und an die ich mich hinterher nicht mehr erinnern kann?«
»Das ist möglich.« Sie schob den Laptop zur Seite und wandte sich ihrem Computer zu. Sie tippte etwas ein, klickte ein paarmal etwas an. »Wie ich sehe, haben Sie Ihre Behandlung bei mir im November 2001 ohne Begründung abgebrochen. Warum?«
»Ich war geheilt.«
»Glauben Sie nicht, dass diese Entscheidung eher mir als Ihnen zugestanden hätte?«
»Nein, das glaube ich nicht. Ich bin kein Kind. Ich weiß, wenn es mir gut geht. Mir geht es jetzt schon seit Jahren wieder gut. Ich habe geheiratet, ich habe eine Firma gegründet. Alles lief bestens. Bis jetzt.«
»Schon möglich, dass Sie sich gesund gefühlt haben, aber
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