Angstfalle
älterer Herr, den sie fast jedes Mal an dieser Stelle traf. Er trug einen dicken Mantel, Hut und Schal. Trotzdem war seine Nase rot von der Kälte. Als er Trixi erblickte, meinte er mit sorgenvoller Stimme: »Sie sehen angeschlagen aus. Sind Sie krank?«
Trixi schüttelte den Kopf, was sie besser nicht getan hätte. Vor Schmerz zuckte sie zusammen.
»Kann ich Ihnen helfen?«
»Es geht schon«, wehrte Trixi schnell ab. »Ich bin gestern auf den Hinterkopf gefallen. Das tut noch ein bisschen weh.«
»Gehen Sie lieber zum Arzt und lassen Sie sich untersuchen. Sollte es eine Gehirnerschütterung sein, ist nicht damit zu spaßen.«
Trixi war gerührt von dieser Fürsorge. Aus seinen Augen sprach Mitgefühl. Ihr wurde warm ums Herz. Er hielt Brötchen und Kuchen in den Händen. Zufällig wusste sie, dass er erst vor einem Jahr geheiratet hatte – sehr spät für einen so netten Mann. Aber diese Ehe schien ihm gut zu bekommen, denn seitdem war er rundlicher geworden, wodurch er noch mehr Gemütlichkeit ausstrahlte, um die Trixi ihn beneidete.
»Ich werde Ihren Rat befolgen.«
»Ich weiß, dass Sie allein leben, seit Ihre Eltern tot sind. Wenn Sie Hilfe brauchen, klingeln Sie einfach bei uns. Meine Frau und ich helfen gern. Wir wohnen in der Kaiserstraße – links um die Ecke, das erste Haus.«
»Vielen Dank. Zurzeit wohnt eine Freundin bei mir. Ich wünsche Ihnen einen schönen Sonntag!« Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und eilte nach Hause. Es war schön, einfühlsame Mitmenschen in der Nachbarschaft zu wissen. Die letzten Tage hatten Trixi entmutigt, weil es ihr nicht gelungen war, die Polizei von ihrem Verfolger zu überzeugen. Diese Begegnung hob ihre Laune beträchtlich.
Als sie heimkam, fand sie Käthe am Wohnzimmerfenster. Sie schaute auf den Autofriedhof und meinte verdrossen: »Die Aussicht ist nicht berauschend. Wie hältst du das aus?«
»Früher stand dort das Haus meiner Freundin Chantal. Wenn ich hinausschaue, sehe ich nicht die hässlichen Autowracks, sondern erinnere mich daran, wie schön es war, als sie noch hier war.«
»Warum steht das Haus nicht mehr?«
»Es musste abgerissen werden, weil es mit Asbest verseucht war. Meine Freundin ist mit ihrer Familie weggezogen.«
Trixis Stimme klang traurig.
Eine Weile schaute sie zusammen mit Käthe auf die verrosteten Autowracks, bis sie hinzufügte: »Chantal war einfach super. Zusammen waren wir unschlagbar. Wir heckten immer Streiche aus, nahmen nichts und niemanden ernst, machten aus allem ein Spiel. Die Lehrer hatten ihre helle Freude an uns. Aber den meisten Spaß hatten wir, wenn wir die kleinen Quälgeister ärgern konnten.«
»Welche Quälgeister?«, horchte Käthe auf.
»Friedhelm Lord, der Sohn unseres Gärtners und Frank Lüderitz, der Sohn der Haushälterin von Chantals Familie.«
»Nobel geht die Welt zugrunde. So etwas konnten sich meine Eltern noch nie leisten.«
»Ich glaube, meine Mutter brauchte einen Gärtner, an dem sie ihre Überlegenheit in Sachen Pflanzenkunde demonstrieren konnte. Der arme Mann hatte bei ihr nicht viel zu melden«, meinte Trixi schulterzuckend.
»Und sein Sohn?«
»Der auch nicht – ebenso der Sohn der Haushälterin. Die beiden hatten Chantal und ich im Griff.«
»Erzähl schon«, drängte Käthe.
»Die Quälgeister wollten uns demonstrieren, dass sie die Krone der Schöpfung sind. Immer versuchten sie uns reinzulegen, aber ihre Tricks waren damals schon uralt. Chantal und ich waren für die Knirpse viel zu raffiniert.«
»Was habt ihr denn mit den beiden angestellt?«
»Zuerst einmal gaben wir ihnen Spitznamen. Den Sohn unseres Gärtners nannten wir Lord Helmchen . Chantal taufte ihr Opfer auf den Namen Bugs Bunny .«
»Warum diese Namen?«
»Zum Familiennamen Lord kam hinzu, dass Friedhelms Haare eng am Kopf lagen. Das sah aus wie ein Helm. Der Name hat sich uns regelrecht aufgedrängt«, erklärte Trixi schmunzelnd. »Frank, der Sohn der Haushälterin, hatte vorstehende Zähne, die über die Unterlippe reichten, sodass wir nicht umhin konnten, ihm den Namen Bugs Bunny zu geben. Zusammen haben Chantal und ich die Buben damit immer geärgert, haben sie gejagt und verprügelt. Das fiel uns leicht, weil beide kleiner waren als wir.«
»Ihr wart aber ganz schön biestig«, schüttelte Käthe den Kopf.
»Sie waren so leicht zum Weinen zu bringen. Wir brauchten sie nur bei ihren Kosenamen zu nennen, schon flennten sie los. Das konnten wir uns einfach nicht entgehen lassen«, lachte
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