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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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Tag, als sie Proviant fürs Picknick gesucht hatte. Immerhin fand sie ein Glas mit Sultaninen, von denen sie sich eine Handvoll nach der anderen in den Mund stopfte. Es folgte eine Packung Haferkekse, die sie mit zum Kühlschrank nahm und dort mit dem letzten Rest der Milch herunterspülte.
    Erst jetzt hatte sie das Gefühl, die Leere in ihrem Inneren gefüllt zu haben. Sie legte sich rücklings auf den Steinfußboden und sah zur Decke hinauf. Ihre Hände wanderten zum Bauch und strichen über die stramme Wölbung. Etwa eine Sekunde lang empfand sie nichts als pure Seligkeit.
    Doch dann stellten sich ganz langsam die anderen Gefühle ein, so wie sie es bereits geahnt hatte. Eine dumpfe Übelkeit wie vom Geruch eines neuen Teppichs begann in ihrem Körper, von den Zehen nach oben zu kriechen. Was um alles in der Welt machte sie hier auf dem Küchenfußboden, inmitten der Überreste ihres widerlichen Gelages? Es war schon fast zwei Jahrzehnte her, dass sie sich zum letzten Mal so hatte gehenlassen, und dennoch war ihr alles sofort wieder eingefallen wie ein schlimmer Traum, den man nie ganz aus dem Kopf bekommt. Sie setzte sich auf und kroch auf allen vieren in die Kammer, wo sie die rote Plastikschüssel nahm, in der sie normalerweise die Handwäsche machte, sich den Finger in den Hals steckte und jedes bisschen ihrer Fressorgie wieder hervorwürgte.
    Als sie den letzten Mundvoll Galle gespuckt hatte, fühlte sie sich erlöst, gereinigt und bereit zum Handeln.
    Sie stand auf, griff sich die Barbourjacke vom Haken und schlüpfte in ihre Überschuhe. Sie nahm die Taschenlampe und ging nach draußen. Ihr Atem schmeckte sauer, und Stückchen von Erbrochenem saßen noch in ihrer Kehle fest. Leise huschte sie die Gartenstufen hinauf zum Nebengebäude. Dort knipste sie die Taschenlampe aus, stand ganz still und hielt die Luft an, während sie darauf lauschte, ob Polly wach war. Wie scheinbar überall in dieser Nacht, so war auch hier kein Laut zu hören. Gut. Rose machte Anstalten, die Eingangstür zu öffnen, von der aus die Treppe zum Wohn-Schlaf-Zimmer hinaufführte. Sie wusste nicht genau, was sie da tat, noch wusste sie, warum sie es tat, aber sie hatte das Gefühl, dass sie einen Beweis brauchte. Dass endlich etwas konkret werden musste.
    Ein Schreck durchfuhr sie wie ein Stich. Die Tür war abgeschlossen. Ihres Wissens war sie noch nie abgeschlossen gewesen. Selbst als sie, Gareth, Anna und Andy im Nebengebäude gewohnt hatten und ihr die ländliche Stille noch solche Angst gemacht hatte, war die Tür fast immer offen gewesen. Aber im Moment stieß sie überall auf verschlossene Türen. Was hatte das zu bedeuten?
    »Scheiße«, sagte sie zu sich selbst. »So eine Scheiße.«
    Sie rüttelte an der Klinke, weil sie dachte, dass Polly dadurch vielleicht aufwachen würde. Falls ja und falls sie herunterkam, würde Rose schon eine Erklärung dafür einfallen, was sie um vier Uhr früh hier zu suchen hatte. Dann wäre alles gut. Das Klappern der lose sitzenden Klinke auf der Innenseite der Tür würde mit Sicherheit ausreichen, um Polly herunterzulocken. Es war so laut, dass es von den dunklen Wänden der Nacht widerzuhallen schien. Aber nichts geschah. Es tat sich rein gar nichts, außer dass irgendwo nicht allzu weit entfernt zwei Igel ihre fieberhaften, vogelschreiartigen Brunftlaute ausstießen.
    Rose eilte ums Gebäude herum und spähte durchs Fenster, um zu sehen, ob sich drinnen etwas bewegte. Die Scheibe starrte ausdruckslos zurück, wodurch sie unwillkürlich an Flossies leeren Blick denken musste.
    Sie hatte das Gefühl, als säßen ihre Nerven direkt unter der Haut. Würde sie es zum zweiten Mal tun? Würde sie wieder ums Haus schleichen und vor Gareths Atelier herumspionieren? Noch während sie sich diese Fragen stellte, eilte sie bereits lautlos über den in nächtlichem Schwarz daliegenden Rasen auf die gedrungene Silhouette des Ateliers zu. Die Tür war auch diesmal verschlossen, die Vorhänge waren zugezogen. Sie presste ein Ohr an die Fensterscheibe. Nichts. Es war, als wären im Laufe der Nacht alle verschwunden. Einen Augenblick lang packte der Gedanke sie an der Gurgel – was, wenn es stimmte? Doch dann fiel ihr ein, dass sie den Wagen in der Einfahrt gesehen hatte, sie mussten also noch da sein. Nicht wahr?
    Ein Kälteschauer überfiel sie von hinten wie ein unsichtbares, formloses Etwas, das auf sie niederstieß. Sie hatte immer schon Angst vor der Dunkelheit gehabt, Angst vor der Stille auf dem

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