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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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hat sie mich im Stich gelassen? Niemand konnte mir irgendwelche befriedigenden Antworten geben. Und dann, als ich endlich rausgefunden hatte, wer meine leibliche Mutter war, war sie tot. Sie hatte sich umgebracht, in Buffalo, New York. Und ich habe bloß gedacht: Gut .«
    Rose holte erschrocken Luft und wandte den Blick ab.
    »Also bin ich nach England gegangen, weit weg von ihnen. Und jetzt beginnt und endet meine Blutlinie hier«, sagte er. Seine Stimme brach. »In diesem Raum.«
    »Und was für ein Verhältnis hast du jetzt zu ihnen, zu Pam und John?«, fragte Rose vorsichtig.
    »Sie sind gestorben. Sie waren schon alt. Es ist zu spät.«
    Rose nahm ihn bei der Hand und führte ihn durch die weiße Schwingtür zurück an die Bar, wo Christos und Polly, umringt von einer Schar unterer Semester mit ernsten Mienen, Hof hielten. Sie wusste, dass sie in Gareth ihren Mann gefunden hatte. Sie würde seine Blutlinie fortsetzen, sie aus diesem kalten, von Zorn erfüllten Raum befreien und in die Welt hinauslassen. Und damit würde sie sich nicht nur des Sohnes dieser armen, blinden Frau vom Foto annehmen, sondern auch ihre eigene Wiedergutmachung leisten.
    Christos hatte gar nicht genug rote Punkte, um sie neben all seine Bilder zu kleben, aber BlutLinie verkaufte sich nicht. Niemand zeigte Interesse an Gareth, abgesehen von ein paar getuschelten Bemerkungen über die Einhaltung gesundheitsrechtlicher Bestimmungen und Anleihen bei Marc Quinn. Für Gareth persönlich jedoch, und in gewisser Weise auch für Rose, stellte das Werk eine Katharsis dar, die es ihnen beiden erlaubte, von nun an ihren Weg gemeinsam zu gehen, wenigstens an der Oberfläche vereint.
    »Mach nicht so ein besorgtes Gesicht.« Polly nahm Roses Hand in ihre und riss sie damit aus ihren Gedanken. »Ich werde so brav sein, dass du dich freuen wirst, mich im Haus zu haben. Hoch und heilig versprochen.«
    »Das habe ich doch gar nicht bezweifelt.« Rose lächelte.
    Polly lehnte sich zurück und rauchte eine Zeitlang schwei gend, wobei ihr Blick über den Parkplatz glitt, als suche sie nach etwas.
    »Woran erinnerst du dich noch von Christos?«, wollte sie wissen.
    »Ich weiß nicht, ob –«
    »Nein, erzähl nur. Ich will’s hören.«
    »Okay. Also gut, lass mich nachdenken. Er war immer in Aktion. Immer am Reden, am Zeichnen, Rauchen, Trinken, Essen. Er hat dich ständig angefasst; hat Essen gekocht; aufgeräumt. Ich habe nicht ein einziges Mal erlebt, dass er still gewesen wäre. Nicht mal, wenn er geschlafen hat. Und man hatte immer das Gefühl, dass man in seiner Gegenwart alles tun, sagen, essen und trinken konnte, was man wollte. Er war – keine Ahnung – wie ein Löwe mit dunkler Mähne, so unglaublich groß, wie er in der Tür zu eurem weißen Haus stand, mit den Weinranken über dem Kopf und seinem Ouzo in der Hand. Er war wie Dionysos.«
    »Göttergleich.«
    »Ja, vielleicht, wenn man so will. Göttergleich.«
    Die zwei Frauen saßen im Regen unter dem Schirm und dachten daran, dass nun all das vorbei war. Tot. Vergangen.
    »Du hast mir gefehlt, Poll«, sagte Rose.
    »Du mir auch.« Polly beugte sich vor und drückte ihre Zigarette auf dem Picknicktisch aus.
    »Ihr könnt wirklich so lange bleiben, wie ihr wollt«, erklärte Rose. »Bleibt ruhig für immer!«
    »Na ja, jedenfalls bis wir wieder auf die Beine kommen …«
    »Klar.«
    »Ach, übrigens«, sagte Polly. »Das Baby hat geschrien, als ich eben am Wagen vorbeigekommen bin.«
    »Was? Warum hast du nichts gesagt?«, rief Rose, sprang auf und rannte die Böschung hinunter, um Flossie zu trösten.
    »Hab ich doch. Jetzt gerade«, sagte Polly zu Roses Rücken , als sie langsam aufstand und ihrer besten Freundin folgte.

5
    R ose brauchte eine Weile, bis sie Flossie beruhigt und danach zurück in die Babyschale verfrachtet hatte; mit ihrem Weinen hatte Flossie auch die anderen Kinder aufgeweckt, und Anna hatte vergeblich versucht, ihre Schwester zu trösten. Das machte Roses Schuldgefühle nur noch schlimmer, als hätte sie auf gleich zweifache Weise ihre Pflicht vernachlässigt. Polly sagte nichts. Sie stieg bloß ein, saß da und wartete darauf, dass Rose fertig wurde. Ihren Söhnen, die unbehaglich auf der Rückbank herumrutschten, schenkte sie keine Beachtung.
    Schließlich setzte Rose sich wieder hinters Steuer. Es war bereits kurz vor sieben, und sie musste nach Hause zu ihrem Schmortopf, der im AGA-Herd vor sich hin köchelte. Sie wollte die Reisenden so schnell wie möglich mit

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