Angsthauch
bezeichnete, machten sich die Kinder ans Abräumen, während Gareth und Rose am Tisch sitzen blieben und die zweite Flasche leer tranken.
»Das ist schön«, meinte Rose. »Ein bisschen so wie früher.«
»Wann früher?«
»Ach, du weißt schon«, sagte Rose vage und ließ den Blick durch den Raum schweifen. »Kannst du das von Hand abwaschen?«, bat sie Nico, der gerade ihr Spezialmesser in die Geschirrspülmaschine stecken wollte. »Ach, wenn ich es mir recht überlege, mache ich es lieber selbst. Es ist verteufelt scharf.«
Als sie sich wieder zu Gareth umdrehte, hatte der gerade sein leeres Glas hingestellt und machte Anstalten, aufzustehen.
»Ich werde dann mal wieder«, verkündete er. »Diese Zeichnungen machen sich schließlich nicht von selbst.«
»Oh. Na dann. Vergiss die Sicherung nicht«, sagte Rose, als sie aufstand, um das Messer abzuwaschen.
»Dann bis morgen.« Er beugte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Morgen?«
»Anna will heute Nacht bestimmt wieder bei dir schlafen, und Flossie ist ja auch noch da. Ich glaube, ich bekomme mehr Schlaf, wenn ich wieder im Atelier übernachte. Ich habe sowieso vor, noch bis spät in die Nacht zu arbeiten.«
»Okay«, sagte sie. »Okay.«
Er nahm die Sicherung und den Schraubenzieher, wandte sich ab und ging zur Tür hinaus, um auch diese Nacht weit weg von Rose zu verbringen.
39
G areths Behauptung über ihre Konstitution zum Trotz fühlte sich Rose ziemlich ausgelaugt. Der Wein hatte sie auch nicht gerade munterer gemacht, also ließ sie sich, nachdem sie die Kinder gebadet, ihnen eine Gutenachtgeschichte vorgelesen und sie ins Bett gebracht hatte, erst einmal eine schöne heiße Wanne einlaufen. Sie gab einen großzügigen Schuss ihres besten, nach Rosen duftenden Aveda-Badeöls ins Wasser und zündete ein paar Kerzen an. Während sie in der Wanne lag und Schwaden aus Rosenduft ihre hochgesteckten Haare umwehten, dachte sie an den Blick, den Gareth ihr früher am Abend zugeworfen hatte. Sie hatte ihn schon einmal gesehen …
Ganz allmählich kehrte die Erinnerung zurück. In den wenigen Momenten, in denen es Rose gelang, sich selbst gegenüber ehrlich zu sein, musste sie sich eingestehen, dass sie ein kompliziertes Verhältnis zur Wahrheit hatte. Wie bei den meisten Menschen gab es auch in ihrem Leben Dinge, die sie niemals jemandem anvertraut hätte. Es gab solche, die manchen Leuten bekannt waren, anderen hingegen nicht. Und dann gab es noch einige wenige, über die außer ihr nur ein oder zwei weitere Menschen Bescheid wussten. Um diese vor Gareth geheim zu halten, hätte sie wahrscheinlich sogar getötet. Die Nacht am Strand in Griechenland mit Christos zählte dazu. Aber jetzt war sie ja die Einzige, die noch davon wusste. Damit dieses Geheimnis nicht ans Licht kam, würde sie niemanden töten müssen.
Sie räkelte sich in der Wanne. Es war eine unbewusste Bewegung, ausgelöst durch die Erinnerung an Christos. Eine neue Wolke Rosenduft wurde aufgewirbelt, und einen berauschenden Augenblick lang war sie wieder bei ihm; sein unvergleichliches Lächeln war wieder zum Greifen nah. Doch gleich darauf verwandelten sich seine Augen in Gareths, und ihr fiel ein, wann sie diesen Blick zuletzt bei ihm gesehen hatte. Während des Umbaus, als er so schrecklich depressiv gewesen war, hatte sie einmal einen Abend allein mit Andy verbracht. Um der Enge des Hauses und dem Miasma von Gareths übler Laune zu entfliehen, hatte sie einen Ausflug ins Pub vorgeschlagen. Natürlich hatte sie ganz genau gewusst, dass Gareth nicht mitkommen würde und folglich auf Anna aufpassen musste.
Nach dem Abendessen waren sie und Andy losgezogen. Gemächlich waren sie die Straße entlang in die blauschwarze Nacht hinein gewandert. Es war Frühlingsanfang, und die Hecke stand voller Knospen. Rose konnte die Blüten der Schlüsselblumen als helle Punkte am Straßenrand ausmachen wie sanfte Lichter, die sie auf ihrem Weg leiteten. Ein herrlich zitroniger Duft lag in der Luft, ein Duft nach Frische und Neuanfang. In ihrem schwangeren, geruchssensiblen Zustand glaubte Rose, darin den Geruch eines Neugeborenenköpfchens wahrnehmen zu können.
Sie saßen im Pub, und Andy trank drei Pints des lokal gebrauten Bitters, während Rose an einem kleinen Guinness nippte. Sie war eine unverhohlene Verfechterin des Starkbierkonsums während der Schwangerschaft, seit ihre erste Hebamme in London, eine altehrwürdige Dame aus Jamaika, ihr gesagt hatte, man könne es aufgrund
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