Angsthauch
seines Eisengehalts als eine Art Medizin betrachten.
Andy trank und redete. Zum ersten Mal erzählte er ihr von seiner romantischen, aber katastrophalen Ehe mit einer Französin und dass er danach nie wieder eine andere Frau hatte lieben können. Er erzählte ihr, wie er nach der Trennung von Françoise ursprünglich vorgehabt hatte, in die Vereinigten Staaten zurückzukehren, um wieder bei seinen Eltern zu sein, aber dann waren sie gestorben, und Bush wurde zum Präsidenten gewählt, und der Krieg gegen den Terror begann. Von diesen Entwicklungen abgeschreckt, war er nach Frankreich zurückgekehrt, wo er noch nicht alle Zelte abgebrochen hatte. Dort hatte er den doppelten Vorsatz gefasst, fortan mehr Kontakt zu seinem Bruder zu suchen und ein einfacheres Leben zu führen. Während sie Andy so zuhörte, fragte sich Rose einmal mehr, ob sie sich nicht vielleicht für den falschen Bruder entschieden hatte.
Bei der Erinnerung daran wand sie sich schuldbewusst in ihrem nach Rosen duftenden Bad. Doch dann rief sie sich ins Gedächtnis, dass Gareth zu jener Zeit absolut unausstehlich gewesen war und sie sich daher vermutlich von allem freisprechen konnte, was in jener Nacht im Pub und danach passiert war.
Wie sie so mit ihm zusammengesessen und ihr samtenes Guinness getrunken hatte, war es ihr so vorgekommen, als besäße Andy sämtliche von Gareths guten Seiten ohne die schlechten. Genau wie sein Bruder war er groß und gut aussehend. Er war kreativ und intelligent und herrlich verspielt, doch gleichzeitig fehlte ihm das, was Rose bei Gareth als die dunkle Seite seines Charakters kennengelernt hatte – das Negativ zu seiner Heiterkeit. Diesen speziellen Zug musste Gareth von seiner leiblichen Mutter mitbekommen haben – der Frau, die sich das Leben genommen hatte, bevor er Gelegenheit bekam, sie kennenzulernen. Zweifellos war sie an allem schuld.
Und dann griff Andy über den Bartisch mit seinen gedrechselten Beinen hinweg nach ihrer Hand.
»Verstehst du? Ich glaube, ich kann einfach nicht mit ansehen, wie mein Bruder dir weh tut.« Er hatte gerade erklärt, wieso er mit dem Gedanken spielte, abzureisen. »Wenn er so ist wie jetzt, dann würde ich ihn am liebsten umbringen. Und dass er dich damit so verletzt, macht es nur noch schlimmer. Ich habe Angst, Rose«, fuhr er mit gesenkter Stimme fort. »Ich habe Angst davor, was ich ihm antun könnte, wenn er so weitermacht.«
Rose zog ihre Hand weg und legte sie sich über den Mund. Andy holte sie zurück.
»Komm mit nach draußen«, sagte er, und ohne zu wissen, was sie tat, stand sie auf und folgte ihm durch das überfüllte Pub. Den wenigen Gästen, die sie kannte, winkte sie zum Abschied zu, als wolle sie demonstrieren, dass alles vollkommen harmlos war; dass sie nicht zu einem geheimen Stelldichein mit diesem Mann unterwegs war, während sie das zweite Kind seines Adoptivbruders erwartete.
Aber das war sie. Sie wusste es genau. Andy spendete ihr Nähe und Trost. Davon hatte sie, seit Gareth von der Schw angerschaft erfahren hatte, weiß Gott nicht viel bekommen. Von den Schmetterlingen in ihrem Bauch vorwärtsgetragen, kletterte sie hinter Andy her über das Gatter, das am anderen Ende des Dorfs zu den auf dem Hügel gelegenen Schrebergärten führte.
Dort, umgeben von Kohl, Lauch und Pastinaken, vögelten sie auf der harten Erde wie wilde Hunde. Am Ende brach Rose schlammbespritzt über ihm zusammen und schluchzte teils vor Erleichterung, teils vor Entsetzen über das, was sie getan hatten. Mitten zwischen dem Wintergemüse hatten sie eine Atombombe gebaut. Der Gedanke an das, was passieren würde, falls sie hochging, war lähmend.
»Es ist besser, wenn ich abreise«, erklärte Andy, als sie zurück zum Haus gingen.
»Nein.« Sie drehte sich zu ihm um. »Fahr nicht. Ich weiß nicht, was ich ohne dich machen soll.«
»Ich muss nachdenken«, sagte er.
Sie gingen zurück zum Nebengebäude und schlichen auf Zehenspitzen hinein, damit Gareth und Anna nicht wach wurden. Es war ein Uhr morgens und damit viel später, als sie heimgekommen wären, wenn sie ihren kleinen Abstecher nach dem Pub nicht gemacht hätten. Rose zog sich im Badezimmer aus und wusch sich gründlich, um alle Spuren von Andy zu beseitigen. Sie knüllte ihre schlammigen Sachen zusammen und vergrub sie ganz unten im Wäschekorb. Dann schlüpfte sie neben Gareth ins Bett, der sich von ihr wegdrehte. Sie wusste noch, wie sie auf dem Rücken gelegen und im Kopf alle Möglichkeiten durchgespielt
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