Angsthauch
Wahrscheinlich hätte sie geschmeichelt sein müssen, dass die Kinder an ihrem Bett ausharrten und auf Anweisungen warteten.
»Was hat Dad denn vorhin da draußen gemacht?«, wollte sie von Anna wissen.
»Er hat Foxy erschossen.«
»Ihn erschossen? Wieso denn das?«
»Polly hat gesehen, wie Foxy versucht hat, sich Monkey zu schnappen. Monkey ist auf einen Baum geklettert.«
»Wo hat er denn das Gewehr her?«
»Das hat Mum gekauft«, sagte Nico. Rose fiel auf, dass seine Stimme tiefer geworden war. Kam er jetzt schon in die Pubertät, in seinem Alter? Verwandelte ihn alles, was hier geschah, viel zu früh in einen Mann? Auch er kam aufs Bett geklettert und ließ sich auf Roses anderer Seite nieder.
»Ich dachte, du weißt Bescheid«, meinte Anna. »Warst du nicht dabei, als sie es ihm gegeben hat?« Ihre Stimme klang schrill.
»Nein«, krächzte Rose und setzte sich auf.
Anna nahm ein Kissen und steckte es ihr in den Rücken. »Er hat beim Abendessen drüber gesprochen – ach so, das war, als du krank warst. Davon, wie er und Andy früher in Amerika auf die Jagd gegangen sind. Als er es erzählt hat, hat es sich echt spannend angehört.«
»Er hat erzählt, wie sie einen ganzen Tag lang ein Reh durch den Wald verfolgt haben und wie man die Spuren liest, die es hinterlässt«, ergänzte Nico.
»Und da hat Mama gesagt: ›Warum machst du das hier nicht auch?‹«, warf Yannis ein, während er die Karten zusammenschob.
»Und Dad hat gemeint, das würdest du ihm nie erlauben.«
»Also ist Mama am nächsten Tag ins Jagdgeschäft gegangen – du weißt schon, das neben der Werkstatt an der großen Straße«, fuhr Nico fort. »Und dann ist sie mit einem Gewehr zurückgekommen.«
»Sie sah aus wie die Frau aus Fluch der Karibik «, kicherte Yannis, als er zwischen Rose und Nico schlüpfte.
»Aber er hat nicht gesagt, dass er Tiere damit totschießen will«, sagte Anna. »Und von dem Blut hat er auch nichts gesagt.«
Rose schloss die Augen.
»Ich muss mit deinem Vater reden«, verkündete sie und stand auf.
»Ihm geht’s aber ziemlich schlecht«, gab Anna zu bedenken.
»Das ist mir egal. Ich muss mit ihm reden, jetzt gleich. Ihr bleibt hier.«
Ungeachtet der Tatsache, dass die Kinder dabei zusahen, zog sie sich das Nachthemd aus und einen Jogginganzug an. Sie steckte sich die Haare hoch, weil ihr das das Gefühl gab, die Lage besser im Griff zu haben, dann machte sie sich auf den Weg zu Annas Zimmer einen Stock tiefer. Die Kinder ließ sie verstört im Ehebett zurück.
Als sie behutsam die Tür zu Annas Zimmer aufstieß, sah sie, dass die Vorhänge zum Schutz vor der Morgensonne zugezogen waren. Gareth lag zusammengekrümmt im Bett, neben ihm stand ein Eimer. Der Gestank schaler Fürze hing im Raum. Rose lächelte.
»Hallo«, sagte sie.
Gareth wälzte sich stöhnend auf den Rücken.
»Keine Ahnung, was mit mir los ist.« Er legte sich den Arm über die Augen. »Im einen Moment ist noch alles in Ordnung, im nächsten muss ich plötzlich aufs Klo rennen. Ich habe das Gefühl, als hätte ich meinen ganzen Darm ausgeschissen.«
Du Memme, dachte Rose. Du Würstchen. Sie fragte sich, ob Andy auf eine Überdosis Abführmittel und Emetika auch so empfindlich reagieren würde oder ob er die Sache einfach – wenn man so wollte – aussitzen würde, bevor er aufstand und da weitermachte, wo er vorher aufgehört hatte. Sie vermutete Letzteres.
»Und dann – ich weiß auch nicht, plötzlich hatte Polly dasselbe, fast genau zur gleichen Zeit. Das muss irgendein Virus sein oder so.«
»Vielleicht habt ihr beide was Schlechtes gegessen?«
»Es ist viel schlimmer«, stöhnte er. »Ich habe das Gefühl, ich sterbe.«
»Lebensmittelvergiftung kann tödlich sein«, sagte sie. »Botulismus zum Beispiel.«
»Rose?« Er nahm den Arm von den Augen und sah sie an. Sie war nicht ins Zimmer getreten, sondern stand noch in der Tür, sah auf ihn herunter und genoss die Genugtuung, die seine Hilflosigkeit ihr bereitete. »Was willst du denn? Geht es um das Gewehr?«
» Geht es um das Gewehr?«, fragte sie zurück.
»Ich wollte schon immer ein Gewehr haben. Seit wir hier rausgezogen sind. Auf dem Land haben die Männer so was eben.«
Rose schnaubte.
»Ich habe die Katze gerettet, Rose. Schließlich hat dieser verdammte Fuchs schon Manky getötet.«
»Das glaubst du allen Ernstes?«
»Warum bist du so, Rose?«
Rose spürte, wie ein Kloß aus ihrem Magen nach oben stieg und sich in ihrer Kehle festsetzte.
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