Angsthauch
sein Atelier durchsuchen. Aber wie? Sie hatte schätzungsweise vierundzwanzig Stunden, bevor Gareth und Polly wieder auf den Beinen wären. Aber die Schule war geschlossen, und solange die Kinder in der Nähe waren, konnte sie nichts unternehmen. Sie würde bis nachts warten müssen, wodurch sie allerdings der Abfahrt nach Brighton gefährlich nahe kommen würde. Denn die, so wurde ihr nun mit einem dumpfen Gefühl bewusst, das halb Übelkeit war und halb Erregung, war für den nächsten Morgen geplant. Und was dann? Was würde sie überhaupt im Atelier vorfinden? Wie würde sie darauf reagieren? Nein, all diese Gedanken hatten zu viel mit vorausschauender Planung zu tun. Sie würde einfach abwarten. Solange sie das Vierundzwanzig-Stunden-Fenster einhielt, bestand kein Grund zur Eile. Sie hatte alle Zeit der Welt.
»Mum?«
Rose öffnete die Augen. Anna hatte sich neben sie gesetzt.
»Mum, warum rauchst du?« Anna hatte Rose noch nie rauchen sehen. Sie hatte ihr sogar das feierliche Versprechen abgenötigt, es niemals zu tun. Mit Blick auf Gareths recht exzessiven Zigarettenkonsum hatte sie gemeint, dass sie wenigstens einen Elternteil haben wolle, der lebte, bis sie erwachsen sei.
»Entschuldige, Liebling. Mir geht es einfach nicht so gut. Das ist gewissermaßen wie Medizin.«
»Eine Zigarette?«
»Ja. Wie …« Rose überlegte fieberhaft. »… Wenn man eine ganze Flasche Calpol austrinkt, wird einem schlecht.«
»So wie Effie letztes Jahr?«
»Genau. Aber wenn man krank ist und nur ein bisschen nimmt, dann ist Calpol gut. Es kann einen wieder gesund machen.«
»Und eine Zigarette ist wie Calpol?«
»Gewissermaßen, ja.«
Anna ließ sich das durch den Kopf gehen. »Ich hoffe, ich kriege nie eine Krankheit, bei der ich Zigaretten rauchen muss, damit es besser wird«, meinte sie schließlich.
»Das hoffe ich auch«, sagte Rose. »Und wie ich das hoffe.«
Rose leerte ihr Glas und stand auf. Die Zigarette trat sie mit dem nackten Fuß auf den Steinen aus. Die Mischung aus heiß und kalt war belebend. Nico und Yannis drückten sich an der Hintertür herum und wollten sehen, was los war. Nico, der Gute, hatte Flossie auf dem Arm.
»Wie geht’s ihnen denn?«, wollte Yannis wissen.
»Wie geht’s wem?«, fragte Rose und steckte sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
»Mama und Gareth. Werden sie wieder gesund?« Yannis’ Augen waren groß vor Sorge, als er in zaghaften Schritten vortrat, als hätte er Angst vor der möglichen Antwort.
»Ich denke, doch«, sagte Rose.
»Sie – sie müssen doch nicht sterben, oder?«
»Sei doch nicht so schwul!«, knurrte Nico.
»Nico! Ich möchte nicht, dass du das Wort ›schwul‹ als Schimpfwort gebrauchst.«
Nico drehte sich geduldig zu seinem Bruder um. »Dann sei halt kein Spast. Natürlich müssen sie nicht sterben. Stimmt doch, Rose, oder?« Er sah sie an.
Rose musste dem Elend ein Ende setzen. Die verunsicherten Blicke der beiden Jungs, ihrer treuen kleinen Anhänger, waren nicht auszuhalten.
» Natürlich nicht. Natürlich werden sie nicht sterben. Es ist bloß ein Virus – so ähnlich wie ich ihn hatte. Und seht mich an – ich bin nicht tot, oder? In ein, zwei Tagen geht es ihnen wieder gut.«
»Aber wir können doch trotzdem nach Brighton, oder?«, erkundigte sich Nico.
»Sicher. Bestimmt geht es eurer Mum morgen schon wieder besser.«
»Versprochen?«
Rose wusste, dass Pollys Körper das Abführmittel bis dahin abgebaut haben würde. Ob die schwächliche, zarte Polly allerdings reisefähig sein würde, vermochte sie nicht abzuschätzen. Sie hatte jedoch beschlossen, auf alle Fälle mit den Kindern nach Brighton zu fahren, ganz egal, was kam. Sie brauchte dringend Abstand zu Gareth und zum Haus, um einen klaren Kopf zu bekommen.
Die drei Kinder standen da und sahen sie an. Ihre Unschuld und Besorgnis waren mehr, als sie ertragen konnte.
»Kommt, wir gehen in den Park«, verkündete sie, um den Bann zu brechen. Sie schwankte leicht, als sie aufstand.
»Au ja!«, schrie Yannis. »Kann ich meinen Fußball mitnehmen?«
»Du kannst mitnehmen, was du möchtest«, sagte Rose. »Und wenn wir Lust haben, bleiben wir den ganzen Tag!«
41
H allo, Fremdling.« Simon sah auf und lächelte, als Rose auf seine Parkbank zukam.
Sie erwiderte sein Lächeln und setzte sich neben ihn.
»Nimm es mir nicht übel«, sagte er, »aber du siehst aus wie der wandelnde Tod.«
»Ich nehme es dir nicht übel«, erwiderte Rose. »Genau so fühle ich mich auch.«
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher