Angsthauch
habe mitbekommen, dass du krank warst. Ich wollte ein paarmal vorbeischauen, aber jedes Mal habe ich sie in der Küche gesehen, und, na ja – ich konnte mich einfach nicht dazu durchringen reinzukommen.« Er vergrub die Hände tief in den Jackentaschen und streckte die Beine aus. »Aber ich wollte, dass du weißt, dass ich an dich gedacht habe. Übrigens habe ich auch von deiner Aktion am Wehr gehört.«
»Elender Dorfklatsch«, sagte Rose. »Ich glaube, das hing irgendwie alles zusammen, mein Beinaheertrinken und die Krankheit. Eine Verkettung unglücklicher Umstände.«
»Davon scheint es bei euch im Moment ja reichlich zu geben«, meinte Simon.
»Ich würde zu gern behaupten, dass ich dich nicht verstehe, weil du in Rätseln sprichst, aber leider wäre das gelogen.« Rose drehte sich zu ihm und schenkte ihm ein mattes Lächeln. Simon zog eine Hand aus der Tasche und ergriff ihre.
»Rose, ich weiß wirklich nicht, ob ich noch länger tatenlos zusehen kann.«
»Es geht dich nichts an, Simon, bitte.«
»Ich weiß. Aber – ich hasse es, dich so zu sehen.«
»Yannis, komm da runter!«, rief Rose dem Jungen zu, der es irgendwie geschafft hatte, auf das Schaukelgerüst zu klettern, und nun an der oberen Querstange Überschläge machte.
Simon umschloss ihre Hand mit seinen beiden Händen. Er versuchte, ihren Blick einzufangen, aber sie ließ es nicht zu. Stattdessen beobachtete sie weiter den Spielplatz und behielt dabei nicht nur ihre eigenen Kinder im Auge, sondern auch die zehn fremden, die die Schaukel umschwirrten wie Wespen ein vergessenes Weinglas.
»Mir geht es gut, Simon, ehrlich. Ich bin bloß noch ein bisschen angeschlagen wegen dieser Virusgeschichte. Jetzt hat es Gareth erwischt. Und Polly auch.«
»Mein Herz blutet.«
Rose schmunzelte, und jetzt endlich sah sie ihn doch an. »Du bist ein guter Freund, Simon. Danke.«
Röte breitete sich auf seinen Wangen aus, wie immer von den Nasenflügeln ausgehend bis hin zu den Ohren.
»Hey, seht mal!«, rief Nico und kam auf sie zugerannt. »Rose und Simon sitzen im Schnee. K-Ü-S-S-E-N-D !«
»Das reicht jetzt aber, du!« Simon sprang auf, war mit wenigen Sätzen bei Nico und schwang ihn hoch in die Luft. Effie, Liam, Anna und Yannis stürzten hinzu und warfen sich mit lautem Geschrei auf die beiden.
Rose blieb auf der Bank sitzen und drehte die Hand, die Simon gehalten hatte, immer wieder um. Sie betrachtete sie und fragte sich, womit sie solche Freundlichkeit verdient hatte.
»Hast du Lust auf ein Mittagessen im Pub?«, rief Simon aus dem Gewimmel der Kinder zu ihr herüber. »Ich lade euch ein.«
Es war schon so lange her, dass Rose auswärts essen gewesen war, dass sie ganz vergessen hatte, was für eine grauenhafte Idee es war, ins Pub zu gehen, wenn die Kinder gegenüber den Erwachsenen in der Überzahl waren. Trotz der großen Limos und Chipstüten, die Simon besorgt hatte, um die Kinder bei Laune zu halten, wurde ihnen das Warten auf ihren Schinken mit Ei und Pommes schnell zu lang. Als das Essen dann schließlich kam, war Rose von den zwei Pints Bier, die Simon und sie jeweils getrunken hatten, schon ziemlich angeheitert, zumal sie am Morgen ja bereits ein Glas Wein gehabt hatte. Geschäftige Unruhe brach aus, als die Kinder die Salatgarnituren von ihren Tellern auf die Teller der Erwachsenen beförderten.
Da sie fast die ganze Zeit damit zu tun hatten, den Geräuschpegel der Kinder in erträglichen Grenzen zu halten, damit sich die anderen Gäste nicht gestört fühlten, bekamen Simon und Rose so gut wie keine Gelegenheit, sich weiter zu unterhalten. Rose hatte das Gefühl, dass die Ruhe, die sie nach außen hin ausstrahlte, nur eine hauchdünne Membran war. Darunter befand sich stinkender, gärender Eiter, wie der verschimmelte Klumpen, den man manchmal unter der harmlos aussehenden Haut auf einer sehr alten Dose mit Lack finden kann.
Als sie sich auf den Weg nach Hause machten, wandte sich Simon erneut zu Rose. Der Alkohol hatte ihn noch sanftmütiger gemacht. Als er ihr in die Augen sah, hatte er den Blick eines treuen Bluthundes.
»Sollen wir noch mit zu euch kommen? Ich könnte dir ein bisschen Arbeit abnehmen und mich um alles kümmern, was so getan werden muss. Dann kannst du mal die Füße hochlegen.«
»Das wäre wohl zu viel verlangt, dich zu bitten, mit ins Haus zu kommen, während sie da ist. Aber …«, urplötzlich hatte sich eine einmalige Gelegenheit aufgetan, »… ich bin wirklich ein bisschen erschöpft. Bestünde
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