Angsthauch
gesäumt war. Auf Kiefernregalen türmten sich Schuhe in unordentlichen Haufen. Es roch nach Staub und Nag-Champa-Räucherstäbchen. »Das ist also Flossie. Und wo ist Anna?«
»Hallo«, sagte Anna und streckte den Kopf hinter Rose hervor.
»Ah, da bist du ja. Was habt ihr denn nur so lange getrieben? Wir wollten schon die Polizei rufen«, fuhr Lucy fort und ging rückwärts ins Wohnzimmer. »Geh du ruhig schon mit ihnen in die Küche, Polly, ich hole das arme Baby aus dem Wagen. Du liebe Zeit, die Kleine ist ja halb erfroren.«
Polly nahm Rose bei der Hand und führte sie durch den hinteren Teil des Hauses in eine schlauchförmige Küche mit Schränken und Arbeitsflächen aus gebeizter Kiefer, an die sich in der Ecke ein klobiger Holztisch anschloss, um den mehrere nicht zueinanderpassende Stühle herumstanden. Überall lagen Zeitungen, Stapel mit gefalteter Wäsche und halbaufgegessenen Pasteten. Töpfe und Pfannen standen herum. Ganz hinten befand sich eine Verandatür, durch die Rose einen Stapel vor sich hin rostender Fahrräder und dahinter einen wuchernden Urwald erkennen konnte.
»Wo warst du, verdammt noch mal?«, fauchte Polly, räumte einen Nähkasten und eine Jeans von einem Stuhl und drückte Rose darauf.
Rose zog Anna an sich. Bislang hatte sie noch kein Wort gesagt. Irgendetwas stimmte hier nicht, und sie hatte keine Ahnung, was. Als sie Pollys Gesicht im Fenster gesehen hatte, war sie schon in Sorge gewesen, Gareth könnte das Atelier entdeckt und Polly angerufen haben. Inzwischen war sie ziemlich sicher, dass er es nicht getan hatte. Wie auch? Pollys Handy lag zu Hause, und Gareth kannte weder Lucys Adresse noch ihre Telefonnummer.
Lucy kam in ihre unaufgeräumte Küche gewuselt und blieb im Türrahmen stehen, den sie mit ihrem stämmigen Körper ganz ausfüllte. Flossie saß auf ihrer Hüfte und hatte das Köpfchen an ihre Schulter gelegt, während sie den unbekannten Ort in Augenschein nahm.
»Arme Rose«, sagte Lucy. »Du hast es wirklich nicht leicht gehabt, stimmt’s? Polly hat mir alles erzählt.«
Rose runzelte leicht die Stirn. »Mir geht’s gut«, entgegnete sie.
»Aber natürlich«, flüsterte Lucy und zwinkerte. »So, Anna, möchtest du was trinken? Oder ein Stück Kuchen? Ihr seid bestimmt am Verhungern.«
»Lucy will immer alle mit Essen versorgen, genau wie du, Rose«, sagte Polly von ihrem Standort beim Wasserkocher aus.
»Wir haben im Park Kuchen gegessen«, erklärte Anna.
»Was, im Park da unten?«, fragte Lucy und zeigte in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
Anna nickte.
Lucy drehte sich zu Polly um und hob die Brauen. Polly antwortete mit einem Kopfnicken, als hätte sie Lucy zuvor bereits etwas Ähnliches gesagt und dies sei nun die Bestätigung. Dann ging sie mit der Tasse Tee zu Rose und setzte sich ihr gegenüber an den Tisch.
»Schaut euch nur an. Ihr seht ja ganz zerzaust aus«, meinte sie mit einem Lächeln.
»Ich habe schon den Boiler angestellt«, sagte Lucy. »Gleich kannst du ein schönes Bad nehmen und vielleicht vor dem Abendessen noch ein Nickerchen machen. Du siehst wirklich erschöpft aus.«
Rose wünschte, sie hätte einen Spiegel, um das angebliche Grauen ihrer Erscheinung mit eigenen Augen sehen zu können. Zu gern hätte sie Lucy gesagt, dass diese auch nicht gerade blendend aussehe, aber dazu bekam sie keine Gelegenheit.
»Du schläfst in Mollys Zimmer«, fuhr Lucy fort, während sie einen selbstgebackenen Möhrenkuchen zerschnitt und die Stücke auf angeschlagene Teller verteilte. Molly, fiel Rose wieder ein, war Lucys älteste Tochter – die, die sie während der Schulzeit bekommen hatte. »Polly hat eure Sachen schon ausgepackt. Du musst dich um nichts mehr kümmern.«
Polly nickte lächelnd und sah Rose an, als wäre diese geistesgestört.
»Wo sind denn die Jungs?«, erkundigte sich Rose.
»Molly und Frank sind mit ihnen ins Kino gegangen. Frank ist Mollys Freund. Er ist so ein netter junger Mann. Du wirst ihn mögen«, sagte Lucy und nickte Polly bedeutungsvoll zu. Rose trank ihren Tee in kleinen Schlucken, sah die zwei Frauen an und fragte sich, was um alles in der Welt sie eigentlich hier verloren hatte.
»Hat Molly denn nichts dagegen, wenn ich in ihrem Zimmer schlafe?«
»Ach, woher denn! Sie ist froh, wenn sie eine Ausrede hat, die Nacht bei Frank zu verbringen. Seinen Eltern gehört eins dieser großen weißen Häuser auf der anderen Seite vom Park. Sie sind ziemlich gut betucht«, fügte Lucy hinzu.
All diese
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