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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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Informationen kamen Rose einigermaßen überflüssig vor. Sie sah zu Polly hinüber, die immer noch ein Lächeln im Gesicht hatte, als stünde sie im Mittelpunkt des Geschehens.
    »Ich hätte meine Sachen auch selber auspacken können. Das wäre mir ehrlich gesagt lieber gewesen.«
    »Auf keinen Fall«, erwiderte Polly. »Das hier ist dein Urlaub, Rose. Du sollst keinen Finger rühren.«
    »So, warum trinkst du nicht aus, und dann gehst du nach oben und lässt dir ein schönes, heißes Bad ein?«, setzte Lucy hinzu. »Wir kümmern uns schon um deine Mädchen. Du musst dich jetzt ausruhen. Komm, ich zeige dir den Weg.« Sie streckte Rose wie einem kleinen Kind die Hand hin.
    Rose warf einen Blick in die sorgenvollen Gesichter der beiden Frauen, und als sie sich danach zu Anna umdrehte, musste sie mit einem kurzen Aufflackern von Wut feststellen, dass diese sie mit haargenau derselben Miene ansah. Was auch immer hier gespielt wurde, sie hatte das Gefühl, daran zu ersticken. Trotzdem hatten die beiden mit einer Sache recht: Sie war zu Tode erschöpft. Ihr taten die Glieder weh vom vielen Zerreißen und Zerfetzen, vom Schlafmangel, vom warmen Champagner und von der Seeluft. Also nahm sie Lucys Angebot an und folgte ihr die Treppe hinauf.
    »Du musst dich um überhaupt nichts kümmern«, sagte Lucy und reichte ihr ein flauschiges grünes Handtuch sowie eine Flasche Lavendel-Badezusatz vom Body-Shop. »Mollys Zimmer ist da drüben, das zweite links. Du kannst so lange schlafen, wie du möchtest, hörst du?« Lucy strich Rose übers Haar. Am liebsten hätte Rose ihren Arm gepackt und ihn abgerissen. Stattdessen nickte sie bloß und verschwand im Badezimmer.
    Rose steckte den Stöpsel in den Abfluss, drehte das heiße Wasser auf und stellte sich vor den Spiegel. Langsam zog sie sich aus, dabei betrachtete sie ihren Körper, als wäre er etwas Fremdes. Die Haut unterhalb ihres Bauchnabels war von Dehnungsstreifen durchzogen, die aussahen wie der verästelte Schwemmfächer eines Flusses. Auf ihren Brüsten leuchteten die Streifen nach der letzten Schwangerschaft noch tiefviolett, als sei sie geschunden worden. Sie zeichneten sich auf der Haut ab wie ein Netzwerk aus Venen oder Lymphgefäßen. Rose griff sich in die fülligen Hüften. Auf jeder Seite war es mindestens eine Handvoll. Sie zog daran und sah zu, wie das weiche, untrainierte Fleisch nach oben, unten, rechts und links kleine Wellen schlug. Es war kein schöner Anblick. Vielleicht war sie selbst schuld daran, dass Gareth sie betrogen hatte. Vielleicht hatte sie den Rubikon überschritten und das für eine Frau in ihrem Alter Undenkbare getan: »sich gehenlassen«. Vielleicht hatte sie Lucys Mitleid verdient.
    Sie drehte sich um, goss einen Schuss Badezusatz in die Wanne, verteilte ihn im Wasser und atmete den frischen, beruhigenden Lavendelduft ein. Nein. Polly führte irgendetwas im Schilde – Rose war sich ganz sicher. Sie musste aufhören, ihr immer wieder einen Vertrauensvorschuss zu gewähren. Sie war ihr gegenüber viel zu nachsichtig gewesen, hatte zu viel Verständnis gehabt, sich zu sehr auf ihre gemeinsame Vergangenheit verlassen. Vorsichtig stieg sie in die Wanne und ließ sich ins dampfende Wasser gleiten. Während sie dalag und ihr Körper langsam pochiert wurde, versuchte sie, sich einen Reim auf alles zu machen. Es gelang ihr nicht. Die Zusammenhänge waren mittlerweile viel zu verschwommen, als dass sie irgendeine klare Einschätzung hätte treffen können. Nach dem Bad würde sie ins Zimmer hinübergehen und sich hinlegen, das wäre das Klügste. Die Dinge würden sich schon finden, so oder so.
    Sie trocknete sich ab. Das Handtuch um den Leib gewickelt, huschte sie auf Zehenspitzen über den Flur. Auf dem Treppenabsatz, wo die Stufen um die Ecke gingen und zum Speicher hochführten, gab es auf Fußhöhe eine kleine Öffnung. Rose ging davor in die Hocke und spähte durch die hölzernen Stäbe, die die Öffnung von der daruntergelegenen Küche abschirmten. Sie konnte Polly und Lucy am Küchentisch sitzen sehen und hörte, wie sie sich mit Anna unterhielten. Flossie saß auf Lucys Schoß. Anna schilderte ihr gerade, wie es zu der Verletzung an ihrem Auge gekommen war. Sie und Polly schienen die Geschichte in eine Art Witznummer verwandelt zu haben. Zur Illustration dessen, was das Kätzchen mit ihr gemacht hatte, fuhr sie mit der Hand über Pollys Gesicht, als wäre sie eine krallenbewehrte Tatze.
    »Dann brauchen sie mich ja wohl nicht«, murmelte

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