Angsthauch
und das sanfte Leuchten im Wageninneren schließlich dafür, dass Rose ganz allmählich in einen unruhigen Schlaf glitt. Als ihr die Augen zufielen, war ihr letzter Gedanke, dass Gareth auf seinem Weg nach Brighton aller Wahrscheinlichkeit nach an ihnen vorbeikommen würde. Sie hoffte inständig, dass er sie nicht sah. Sonst hätte der Taxifahrer vielleicht wirklich einen Grund zur Sorge.
45
E s war die tiefste Stunde der Nacht, als das Taxi in die leere Einfahrt einbog. Das Haus am Fuße des Kräutergartens lag in vollständiger Dunkelheit da. Es ging kein Wind, und der Regen fiel sturzbachartig in pfeilspitzen Tropfen vom Himmel, floss über die Ränder der Rinnsteine hinweg und schäumte in den Gullys.
»Sind Sie sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte der Taxifahrer.
»Absolut«, bestätigte Rose.
Er stieg aus und trug den Trolley zum Haus. Rose hatte keine Hand frei, weil sie Flossie tragen und der schlaftrunkenen Anna, der sie schützend die Jacke über den Kopf hielt, die Stufen hinunterhelfen musste.
»Das macht dann einhundertundfünf Pfund bitte«, sagte der Taxifahrer. Rose seufzte und sah in ihrer Handtasche nach. Sie holte ein Bündel Bargeld heraus, das sie für die Reise abgehoben hatte, und zählte sechs Zwanziger ab.
»Der Rest ist für Sie«, sagte sie.
»Man dankt. Dann alles Gute für Sie. Und du, Fräulein.« Er ging vor Anna in die Hocke und schaute ihr in das gesunde Auge. »Du scheinst mir eine tapfere junge Dame zu sein. Pass gut auf deine Mum und das Baby auf, hast du gehört?«
Seine Worte weckten in Rose die Erinnerung an den Krankenhausaufenthalt und daran, wie ohnmächtig sie sich gefühlt hatte, weil die Schwestern ihren Namen durch ihre Funktion ersetzt hatten. Es war eine bittere Ironie: Was hatte sie damals schon von Ohnmacht gewusst?
Sie sah dem Taxifahrer nach, der durch den Regen zurück zu seinem Wagen stapfte, dann drehte sie sich zur Haustür, um sie zu öffnen. Sie war abgeschlossen. Sie wühlte in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel und sperrte auf. Als der Taxifahrer dies sah, ließ er den Wagen an, und mit einem Aufheulen des Motors und einem Aufblitzen der Scheinwerfer war er in der Nacht verschwunden.
Frank , dachte Rose. Sie musste sich den Gedanken verbeißen. Ihn unzerkaut herunterwürgen.
»Mummy, ich hab Angst«, flüsterte Anna und klammerte sich an Roses Bein, als sie durch die Tür in die dunkle, leere Küche traten.
Frank .
»Das brauchst du nicht, Schätzchen. Schau, wir sind zu Hause.« Rose legte den Arm um Anna und zog Flossie noch dichter an sich, so dass deren Köpfchen nun an ihrer Schulter lag.
»Wo ist Daddy?«
»Unterwegs«, sagte Rose.
Sie ließ Buggy, Trolley und Rucksack draußen im Regen stehen und tastete nach dem Lichtschalter. Die Küche glich einem Schlachtfeld. Das Frühstücksgeschirr vom Morgen war nicht abgeräumt. Drei leere Weinflaschen und zwei überquellende Aschenbecher standen auf dem Tisch. Schubladen waren aufgerissen worden, und ihr Inhalt lag verstreut auf dem Fußboden, als hätte jemand nach etwas gesucht. Geschirrtücher, die Rose gewaschen, gebügelt und säuberlich gestapelt hatte, waren auseinandergefaltet und durch die Küche geschleudert worden wie die Federn eines toten Vogels. Einige Körbchen mit Krimskrams, wie Rose es nannte – ein Ausdruck, den Gareth aus unerfindlichen Gründen stets gehasst hatte –, waren ausgekippt, und der Küchentisch war übersät mit Batterien, kleinen Bindfadenknäueln, Gummibändern und Heftzwecken.
»Wahrscheinlich war es der Schlüssel«, murmelte Rose.
»Was, Mummy?«
»Ach, nichts. Ich habe nur gerade gesagt, dass dein Daddy wohl irgendwas gesucht haben muss.«
»Er ist ganz schön schlampig«, meinte Anna und lutschte am Daumen, wie sie es als Kleinkind getan hatte.
»Das kann man wohl sagen.« Rose trat ans hintere Fenster, das auf den Rasen hinausging. Das Atelier war hell erleuchtet. Die Tür sah aus, als sei sie eingetreten – oder vielmehr: zerhackt – worden. Sie war vollkommen zersplittert. Gareth hatte die Vorhänge geöffnet, der Raum wirkte leer und tot. Das Licht brannte, aber es war niemand da. Selbst aus der Entfernung konnte Rose Spuren der Zerstörung erkennen, die sie angerichtet hatte. Es sah wirklich schlimm aus.
Zusammen mit den Mädchen machte sie einen Rundgang durchs Erdgeschoss, um zu prüfen, ob auch alle Türen abgeschlossen waren. Sie knipste sämtliche Lichter an und schaute in den Schränken nach, um sich zu
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