Angsthauch
reine Gelegenheitstaten gewesen, und beide Male hatten die Täter Bargeld aus Roses Handtasche entwendet. Die ersten Einbrecher hatten außerdem eine Spiegelreflexkamera mitgenommen, die Gareth auf dem Tisch im Wohnzimmer vergessen hatte. Beim zweiten Mal waren noch einige weitere Dinge gestohlen worden, unter anderem ein Laptop, den Rose sich in der Schule ausgeliehen hatte. Das war besonders lästig gewesen. Die Polizei hatte gemeint, solche Einbrüche seien in ihrer Gegend an der Tagesordnung – höchstwahrscheinlich Junkies, die nach Gegenständen suchten, die sich leicht zu Geld machen ließen. Und überhaupt, Rose und Gareth seien ja versichert.
Doch das Schlimmste an den Einbrüchen war das Gefühl gewesen, seiner Intimsphäre beraubt worden zu sein. Bei der Vorstellung, dass irgendein schwitzender, zitternder, dreckiger Fremder ihre Sachen durchwühlt hatte, wurde Rose ganz schlecht. Beim zweiten Einbruch, während sie gerade in Schottland gewesen waren, um sich mit Roses Mutter auszusöhnen, die im Hospiz lag, hatte einer der Einbrecher mitten auf ihren Küchenfußboden geschissen. Auch das, sagte die Polizei, sei nichts Ungewöhnliches – angeblich eine Folge vermehrter Adrenalinausschüttung. Doch Rose kam es so vor, als hätte der Eindringling bei ihnen sein Revier markiert, wie ein Tier. Als hätte er ihnen unmissverständlich klarmachen wollen, dass nichts in der Wohnung jemals wieder wirklich ihnen gehören würde. Wenn der Überfall in der Unterführung der Auslöser für die Idee gewesen war, die Stadt zu verlassen, dann hatte dieser zweite Einbruch den Entschluss besiegelt.
Nach dem Umzug hatte es eine Weile gedauert, bis sie sich daran gewöhnt hatten, die Türen nicht mehr abzuschließen. Für Gareth, der in einer Abgeschiedenheit aufgewachsen war, wie es sie nur in einem Land von der Größe der Vereinigten Staaten geben konnte, war es leicht gewesen. Das Haus seiner Eltern hatte nicht einmal Türschlösser besessen. Rose hingegen hatte sich deutlich schwerergetan. Tagsüber hatte es ihr nichts ausgemacht, aber nachts hatte sie anfangs nicht schlafen können, wenn die Türen des Nebengebäudes nicht durch Schloss und Kette gesichert waren. Allerdings machte sie Fortschritte. Nun, da sie ins Haupthaus umgezogen waren, kam sie auch nachts ohne Türschloss aus – was allerdings zum Teil auch damit zu tun hatte, dass sie wegen Flossie ohnehin regelmäßig wach wurde und so die Augen nach Eindringlingen offen halten konnte.
Sie hängte ihre Barbourjacke an den Haken neben der Tür und ging in die Küche. Dort sah es aus wie in ihrer Wohnung in Hackney nach dem zweiten Einbruch, abzüglich der Exkremente auf dem Fußboden. Nur dass das Chaos, dem sie sich jetzt gegenübersah, nicht von Einbrechern hinterlassen worden war, sondern von zwei kleinen Jungs und ihrer wüsten Prügelei. Um den Beginn der Aufräumarbeiten noch ein wenig hinauszuzögern, machte sich Rose erst mal eine Kanne Tee und setzte sich an den Tisch in ein Fleckchen Sonnenlicht, um Flossie zu stillen, die kurz zuvor aufgewacht war.
Sie hatten es sich gerade bequem gemacht, als Gareth hereinkam. Nach einem produktiven Morgen im Atelier war er wie im Rausch. Wenn er so von seiner Arbeit beseelt war, schien ihm die Energie förmlich aus den Fingerspitzen zu schießen.
»Du liebe Zeit, was ist denn hier passiert?« Er ging zu Rose, gab ihr einen Kuss und strich Flossie über die Wange, bevor er sich in seinem allmorgendlich wiederkehrenden Ritual daranmachte, eine Kanne schwarzen starken Kaffee aufzubrühen. Er mahlte die Bohnen in einer uralten Handmühle aus Chrom und Mahagoniholz, die er auf einem Antiktrödelmarkt in Maine erstanden hatte. Seiner Ansicht nach war das die einzig wahre Art, Kaffee zuzubereiten.
»Die Jungs haben sich gezankt.«
»Ist Blut geflossen?«
»Nein. Nur Porridge.«
»Sie sind ziemlich wild aufgewachsen«, meinte Gareth, obwohl er Nico zuletzt gesehen hatte, als dieser zwei Jahre alt gewesen war, kurz bevor Christos und Polly nach Griechenland gezogen waren. Yannis hatte er am vergangenen Abend überhaupt zum ersten Mal gesehen.
»Das musst du gerade sagen«, entgegnete Rose. Gareth und Andy waren als Kinder nicht zur Schule gegangen. Pam und John hatten sie zu Hause unterrichtet, was im Endeffekt darauf hinausgelaufen war, dass sie den ganzen Tag durch die Wälder gestreift waren und auch sonst im Wesentlichen das gemacht hatten, was sie wollten. Oft hatten sie tagelang in selbstgebauten
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