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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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holte ihre sogenannte Arzneikiste, die sie ganz oben auf der Anrichte aufbewahrten. Mit der Kiste setzte er sich wieder an den Tisch und begann, einen Joint zu bauen.
    »Ich konnte mit niemandem reden. Seine Mutter war abscheulich«, fuhr Polly fort. »Sie hat mir die Schuld an allem gegeben. Hat gesagt, ich hätte ihn dazu getrieben. Sie hatte sogar die Dreistigkeit, anzudeuten, ich hätte an seinem Truck rumgefummelt.«
    »Nein!«, rief Rose.
    »Ich meine, sehe ich so aus, als würde ich mich mit einem Pick-up auskennen? Sie hat mich von Anfang an gehasst. Wenn man nicht seit zehn Generationen auf der Insel lebt, ist man ein Außenseiter. Es gab einfach keinen Platz für mich. Nachdem er tot war, musste ich weg.«
    »Wie genau ist es eigentlich passiert?«, wollte Gareth wissen.
    »Wir hatten diesen Streit, Christos und ich. Er war ziemlich heftig, aber nichts Besonderes. Ich hab ihm gesagt, er soll sich verpissen, also hat er gemacht, was er in solchen Fällen immer gemacht hat: Er ist runter in die Stadt gefahren, zu George in die Taverne. Wisst ihr noch, sein alter Kumpel?«
    »Dieser gutaussehende?«, fragte Rose.
    »Genau der. Jedenfalls hat er stundenlang dort gehockt, mit seinen Freunden Bier und Ouzo gesoffen und ihnen vorgejammert, was für eine Hexe ich doch bin. Danach ist er, statt nach Hause zu kommen, hoch in die Berge gefahren. Es gibt da eine neue Straße. Keine Ahnung, wieso er das gemacht hat. Manchmal ist er da hochgefahren und hat die ganze Nacht da verbracht – er hat mir nie viel davon erzählt, und es hat mich auch nicht interessiert. Aber diesmal ist er wohl zu schnell gefahren. Und er war betrunken. Er hat eine Kurve nicht gekriegt, eine dieser Haarnadelkurven, und ist den Abhang runtergestürzt. Der Truck war vollkommen zerquetscht und er auch.«
    »War er sofort tot?«, fragte Gareth.
    »Wahrscheinlich. Aber es hat eine ganze Weile gedauert, bis ihn überhaupt jemand gefunden hat. Ein Schafhirte – ein entfernter Cousin von ihm, wie es der Zufall wollte. Daher auch diese bescheuerten Gerüchte von wegen, ich hätte den Truck manipuliert. In der Nacht, als es passiert ist, bin ich einfach ins Bett gegangen. Ich hab gar nicht gemerkt, dass er nicht zurückgekommen ist, bis ich am nächsten Morgen aufgewacht bin. Ich dachte, vielleicht ist er bei George geblieben. Wie gesagt, es war nicht ungewöhnlich, dass er mal für ein oder zwei Nächte abgehauen ist. Später am Abend, als er immer noch nicht da war, hab ich mir ein Taxi genommen und bin in den Ort gefahren, um ihn zu suchen. Ich war natürlich stocksauer. Aber niemand wusste, wo er war. Wir haben uns nicht viel dabei gedacht. Schließlich war er ja nicht das erste Mal verschwunden.«
    Rose reichte den Joint an Polly weiter, die einen tiefen Zug nahm und dann langsam ausatmete.
    »Fünf Tage später haben sie ihn dann gefunden. Was noch von ihm übrig war. Die Wölfe waren dran gewesen. Es gab nicht viel, was wir noch beerdigen konnten.«
    »O Gott, Polly«, sagte Rose und ergriff ihre Hand.
    »Aber das Schlimmste ist, dass ich während dieser fünf Tage immer wütender und wütender auf ihn geworden bin, weil er nicht nach Hause gekommen ist. Ich hätte nie gedacht … Man denkt doch, man würde das spüren, oder? Irgendwo tief im Herzen, als ob … Na ja, jedenfalls war ich so stinksauer, als sie ihn schließlich gefunden haben, dass mein allererster Gedanke war: Geschieht ihm recht .«
    Gareth blies die Backen auf. Polly lehnte sich zurück und sah Rose an. In ihren Augen lag etwas Unheimliches, eine Art triumphierendes Funkeln. Rose lief ein Schauer über den Rücken.
    »Er hat’s mit anderen Frauen getrieben«, sagte Polly, während Rauch sich aus ihren Nasenlöchern kräuselte. Sie war so in ihre Geschichte versunken, dass sie vergessen hatte, den Joint weiterzugeben.
    »Ich weiß«, meinte Rose mit neutralem Blick. Gareth saß da, ohne sich zu rühren. Er sagte kein Wort.
    »Die ganze Zeit«, fuhr Polly fort. »Während unserer ganzen Ehe. Aber bis auf das letzte Mal ist er immer zu mir zurückgekommen.« Sie verstummte. Dann blickte sie auf und lächelte. »Nicht dass ich ein Engel gewesen wäre. Ich muss euch nicht leidtun, ich hab bekommen, was ich verdiene.«
    »Sag das nicht«, meinte Gareth, beugte sich vor und berührte ihren Arm. Ein plötzlicher Luftzug traf die Kerzen, die Flammen zuckten und drohten zu verlöschen. Aber er war so rasch vorbei, wie er gekommen war.
    Rose erhob sich. »Ich gehe jetzt mal besser

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