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Angsthauch

Angsthauch

Titel: Angsthauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Crouch
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rappelte er sich auf und sprang einem Mädchen mit Zöpfen, Strohhut und der Uniform einer privaten Mädchenschule direkt ins Gesicht. Sie schrak zurück und vergrub das Gesicht im geblümten Leinenrock ihrer Mutter.
    Rose kam sofort hinterher, um Yannis einzufangen, doch erst nach einer ganzen Weile gelang es ihr, ihn in der Schuhabteilung in eine Ecke zu treiben.
    »Komm jetzt, Yannis«, forderte sie ihn auf und hielt ihn am Arm fest. »Sei ein bisschen vernünftiger. Du benimmst dich wie ein Kleinkind.«
    »Aber ich bin doch ein Bekloppter.« Keuchend stand er da und funkelte sie an. »Ich bin ein Bekloppter! Das sagen alle!« Ein irres Kichern schüttelte ihn, bis es, wie ein versiegender Wasserhahn, allmählich immer leiser wurde. Sein sehniger kleiner Körper, eben noch so angespannt und von hitziger Energie besessen, sackte vor Roses Augen in sich zusammen. Ohne ihn loszulassen, ging sie vor ihm in die Hocke.
    »Wer hat das gesagt, Yannis?«
    »Die in der Schule. Ich hasse die alle!«
    »Ich kümmere mich darum. So was dürfen sie nicht zu dir sagen.«
    Jetzt erst begannen die Tränen zu fließen.
    »Ich hasse die Schule, ich will zurück nach Hause! Ich will, dass alles so ist wie früher!«, schluchzte er.
    Glücklicherweise war das Geschäft fast leer, und die wenigen Kunden und Verkäuferinnen hielten diskret Abstand zu Rose und ihrem in Tränen aufgelösten kleinen Wilden.
    Sie zog ihn in ihre Arme und drückte seinen heißen Kopf an ihre Brust. »Ist ja gut, Yannis. Ist ja gut. Schhh. Ist ja gut.«
    »Ich will meinen Papa wiederhaben«, sagte er immer noch schluchzend.
    »Ich weiß«, flüsterte Rose in sein Haar. »Das weiß ich doch, Yann.«
    Es war ein schrecklicher Gedanke, aber in gewisser Weise war sie froh, dass er sich in seinem Kummer an sie gewandt hatte. Irgendwie musste der arme Junge seine Trauer ja verarbeiten. Selbst ein Kind musste erst ganz unten ankommen, bevor es wieder aufwärtsgehen konnte. Rose fühlte sich geehrt, dass Yannis ausgerechnet sie als Zeugin für diesen Moment auserwählt hatte.
    »Mama ist einfach nur scheiße!«
    »Schh. Sie vermisst deinen Papa auch, und deswegen ist sie traurig, genau wie du. Aber es geht ihr bald wieder besser. Und ich bin für dich da, ganz egal, was geschieht. Ich verspreche dir hoch und heilig, dass ich dich nie im Stich lassen werde.«
    Er sah mit roten Augen zu ihr auf.
    »Pass auf, Yannis. Gareth und ich – wir haben euch lieb. So lieb, als wärt ihr unsere eigenen Kinder. Und Christos – dein Papa –, der hat dich auch lieb. Er ist da oben und schaut auf dich runter und schickt dir all seine Liebe.«
    »Im Himmel?«
    »Genau.«
    »Aber Mama sagt, das ist Schwachsinn. Ich hab gehört, wie sie das zu Yaya gesagt hat, auf der Beerdigung.«
    »Glaubst du denn, dass das Schwachsinn ist?«
    »Nee.«
    »Siehst du, ich auch nicht.«
    »Ich red manchmal mit ihm.«
    »Weißt du was? Ich auch.« Sie lächelte ihn an. Es war ihr bis jetzt noch gar nicht aufgefallen, aber er hatte die gleichen Augen wie sein Vater. »Ich sehe ihn hier, in dir drin. Genau in diesem Moment.«
    »Aber wie kann er denn da oben sein und gleichzeitig in mir drin?«
    »Nichts ist unmöglich. Dein Papa erlebt gerade ein großes Abenteuer. So groß, dass wir es uns nicht mal vorstellen können.«
    »Ist das gut?«
    »Ja. Ja, das ist es.« Sie umarmte ihn erneut. »Hör zu«, sagte sie und löste sich ein Stück von ihm. »Ich weiß, was dich aufheitern wird. Hier um die Ecke ist ein Café, da gibt es die beste heiße Schokolade, die du je getrunken hast. Sie ist so dickflüssig, dass der Löffel drin stehen bleibt.«
    »In echt?«, fragte er, und die finstere Wolke war so schne ll verflogen, wie sie über ihn gekommen war.
    »Ja, aber erst müssen wir dich ausstaffieren.«
    »Mich was?«
    »Dir ein paar neue Sachen kaufen, meine ich. Na los, komm.« Sie führte ihn zurück in die Umkleidekabine.
    Hinter dem Vorhang erwartete sie ein Musterbild an Ruhe und Ordnung. Nico saß da und spielte mit Flossie, die aufgewacht war.
    »Das sind die Sachen, die Nico haben will«, teilte Anna ihrer Mutter mit und zeigte auf einen Stapel Kleider, die säuberlich gefaltet auf einem Stuhl lagen. »Und die da«, sagte sie, während sie die letzte Hose auf einen Bügel hängte, »passen nicht oder sehen doof aus.«
    Nico schenkte Rose ein Lächeln. »Das sind echt tolle Klamotten. Danke schön.«
    »Keine Ursache, Nico. Ich freue mich, dass sie dir gefallen. Also, Yannis, jetzt zu dir.«
    Und

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