Angsthauch
Jungs.
»Wir holen unsere Sachen. Komm, Yannis.« Nico sprang auf und rannte nach draußen.
»Danke, Rose.« Yannis machte eine kleine Verbeugung, dann rannte er hinter seinem Bruder her.
»Mum. Wieso denn?« Anna sah Rose vorwurfsvoll an.
»Manchmal darf man nicht nur an sich denken, Anna. Die zwei brauchen jemanden, der sich um sie kümmert, und drüben haben sie niemanden. Es ist besser, wenn sie hier sind.« Je mehr über Polly ans Licht kam, desto sicherer war sich Rose, dass sie recht hatte.
»Aber Nico …«
»Ich weiß. Aber ich habe dir versprochen, dafür zu sorgen, dass du keine Angst vor ihm haben musst. Vertraust du mir nicht, Anna?«
Anna senkte den Blick. »Doch, Mum.«
»Gut. Ich weiß, dass es in letzter Zeit etwas drunter und drüber ging, aber glaub mir, jetzt ist alles wieder in Ordnung.«
*
Zum Abendessen machte Rose Brathähnchen mit Zitrone, kleinen Röstkartoffeln und grünem Salat. Es war eine aus Resten zusammengewürfelte Mahlzeit, und das Hähnchen kam aus der Tiefkühltruhe – für Notfälle hatte sie immer eins auf Vorrat. Sie hatte es nicht mehr geschafft, einkaufen zu gehen, weil sie zu sehr mit Aufräumen beschäftigt gewesen war.
Als das Essen fertig und der Tisch gedeckt war, läutete sie die Glocke. Aus dem Wohnzimmer drang ein Stöhnen.
»Können wir die Folge noch zu Ende sehen?«, rief Anna. Sie, Nico und Yannis schauten sich gerade Die Simpsons an. Ganz offensichtlich hatte sich Anna zu Herzen genommen, was Rose ihr am Nachmittag gesagt hatte. Sie war wirklich ein gutes Mädchen.
»Wie lange dauert sie denn noch?«
»Viertelstunde.«
»In Ordnung, aber dann kommt ihr sofort rüber.« Es hatte noch keinem Brathuhn geschadet, fünfzehn Minuten zu ruhen. Zumal weder Gareth noch Polly es eilig zu haben schienen, sich von ihrer Arbeit loszureißen.
Endlich streckte Gareth den Kopf zur Hintertür herein.
»Hallo, Fremder«, sagte sie und gab ihm einen Kuss.
»Hi.« In Gedanken war er noch ganz im Atelier. Rose kannte die Anzeichen. Für sie war es ein wenig frustrierend, für seine Arbeit allerdings verhieß es Fortschritt.
»Hattest du einen produktiven Tag?«, erkundigte sie sich, während sie ihm ein Glas Wein eingoss.
»Es war ganz schön hart, sich wieder reinzufinden«, sagte er, nahm das Glas und leerte es in einem Zug. »Als du weg warst, bin ich ja nicht zum Arbeiten gekommen.«
»Tut mir leid.« Sie biss sich auf die Lippe und wandte sich ab, um die Sauce anzurühren.
»So war es nicht gemeint.« Er setzte sich an den Tisch und rieb sich die Augen. »Es ist bloß schwer, in Fluss zu kommen, wenn man immer nur hier und da mal ein bisschen was machen kann.«
»Jetzt bin ich ja wieder zu Hause, und du hast alle Zeit der Welt. Wenn du möchtest, kann ich dir sogar dein Essen runter ins Atelier bringen.«
»So weit müssen wir ja nicht gehen«, erwiderte er, während er sich ein zweites Glas Wein einschenkte. »Wie geht’s Floss?«
»Sie liegt im Buggy und schläft. Sie hat praktisch den ganzen Tag nichts anderes gemacht. Ach, Gareth.« Rose nahm ihr eigenes Glas und setzte sich neben ihn. »Ich weiß nicht, ob es ihr wirklich gutgeht.«
»Hör auf, dich damit zu quälen, Schatz«, sagte er und nahm ihre Hand. »Kate hat doch erklärt, dass es noch ein Weilchen dauern wird. Wir müssen einfach Geduld haben.«
»Das ist es ja gerade, was mich wahnsinnig macht.«
»Friss meine Shorts!« Die Kinder kamen laut kichernd in die Küche, angeführt von Nico, der eine perfekte Bart-Simpson-Imitation zum Besten gab.
»Nico, bist du so lieb und holst deine Mutter?«, bat Rose. »Ich glaube, sie hat die Glocke nicht gehört.«
Er stöhnte, gehorchte aber trotzdem und rannte durch den Garten nach nebenan.
»Jason ist gestorben«, teilte Anna ihrem Vater mit.
»Wer?« In alter Gewohnheit zauste Gareth ihr die Haare, als sie sich neben ihm an den Tisch setzte. An der Art, wie sie sich sofort danach die Haare wieder glattstrich, war zu erkennen, dass sie es nicht besonders mochte.
»Mein Vogel«, erklärte Anna, empört darüber, dass Gareth nicht Bescheid wusste.
»Dein Vogel? Ach, Schätzchen, das tut mir leid.«
Rose spürte einen Stich, als ihr klarwurde, dass Gareth im Atelier gewesen war, als sie den Tod des Tiers festgestellt hatten, und dass er den ganzen Tag nicht herausgekommen war. Er war so in seine Arbeit vergraben gewesen, dass er einen prägenden Moment in der Entwicklung seiner Tochter verpasst hatte.
»Sie blutet«, verkündete Nico, als
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