Angsthauch
Pub ging.
Aber was sollte sie anziehen? Am Ende entschied sie sich für das schwarze Kleid mit dem paillettenbesetzten Band unter der Brust, das Gareth so gut gefiel. Sie zog Latzhose und T-Shirt aus und ließ sie in einem Haufen auf dem Fußboden liegen. Dann zog sie sich das Kleid über den Kopf. Es war ein gutes Stück enger als beim letzten Mal, als sie es zu einer privaten Ausstellung von Gareths Arbeiten in London getragen hatte. Das war kurz vor ihrem Umzug gewesen. Aber der Empireschnitt kaschierte einiges, auch wenn sich der Stoff über ihrem Bauch ein wenig spannte. Sie warf einen Blick in den Spiegel. Wie ihre Brüste oben aus dem Ausschnitt quollen, sah ganz passabel aus, fand sie. Über den Rest wollte sie lieber nicht zu lange nachdenken.
Sie nahm sich die Haare am Hinterkopf zusammen, dreh te sie ein und steckte sie mit einer großen Klammer fest. Dann spritzte sie sich Wasser ins Gesicht und legte Lippenstift auf – zum ersten Mal seit Monaten. Sie hielt einen Augenblick inne und betrachtete ihr Gesicht prüfend im Badezimmerspiegel. Im brutalen blauen Licht über dem Spiegel sah ihre Haut müde aus. Sie suchte auf ihrer Seite des Schranks nach ihrem Touche Éclat – dem einzigen kosmetischen Luxus, den sie sich gönnte. Zu ihrem Ärger konnte sie ihn nirgends finden.
Aber es gab wichtigere Dinge, um die sie sich kümmern musste, also schlüpfte sie in ihre Wildlederballerinas und ging dann nach unten, um Janka zu begrüßen und ihr alles zu zeigen.
Sie war ein wenig erstaunt, als sie die Babysitterin und Gareth bei einem Glas Wein zusammen am Küchentisch sitzen sah. Es war doch wohl kaum klug, Alkohol zu trinken, wenn man vier Kinder beaufsichtigen musste. Sie dachte daran, alles abzublasen und Janka nach Hause zu schicken. Das wäre höchstwahrscheinlich das Vernünftigste gewesen. Schließlich konnte schon ein einziges Glas das Urteilsvermögen beeinträchtigen. Andererseits galt das für den Straßenverkehr, nicht für das Beaufsichtigen von Kindern – um die kümmerte sich Rose selbst oft genug, nachdem sie wesentlich mehr getrunken hatte als bloß ein Glas Wein.
»Rose, hallo.« Janka, eine bildhübsche Slowakin, erhob sich zu ihrer vollen Größe und schüttelte Rose die Hand.
»Hi, Janka. Am besten, ich zeige dir kurz alles, du warst ja noch nie hier.«
»O doch, ich war schon hier fünf-, sechsmal, als Sie mit Baby in Krankenhaus waren.« Janka nickte lächelnd.
Rose sah fragend zu Gareth.
»Jemand musste sich ja um die Kinder kümmern, während ich euch besucht habe«, meinte dieser.
Rose machte sich nicht einmal die Mühe, sich zu wundern, warum Polly diese Aufgabe nicht hätte übernehmen können.
»Also gut, dann erkläre ich dir schnell, was du tun musst, falls Flossie aufwacht. Du hast ja die Nummer vom Pub, und Gareth hat dir sicher schon gesagt, dass du sofort anrufen sollst, falls es irgendwelche Probleme gibt. Du musst jede Stunde nach ihr sehen, in Ordnung?«
Rose hatte wirklich vorgehabt, Janka nur ganz kurz zu zeigen, was es bei Flossie zu beachten galt, aber letzten Endes führte sie sie durchs ganze Haus und ging mit ihr am Schluss noch zu den Kindern, die kurz aufsahen und »Hi, Janka«, sagten, bevor sie weiter Futurama schauten.
Janka folgte brav überallhin, nickte und machte »M-hm, m-hm« zu Roses präzisen und ausführlichen Anweisungen, so dass diese sich irgendwann fragte, ob bei dem Mädchen überhaupt etwas hängenblieb. Erneut spielte sie mit dem Gedanken, den Konzertbesuch abzusagen, aber ihr fiel beim besten Willen keine Möglichkeit ein, jetzt noch einen Rückzieher zu machen, ohne dabei furchtbar unhöflich zu erscheinen.
*
Rose und Gareth gaben den Kindern – allen Kindern, denn Rose hatte Gareth eingeschärft, dass sie Nico und Yannis in dieser Hinsicht behandeln mussten, als gehörten sie zur Familie – einen Gutenachtkuss und machten sich auf den Weg zum Pub.
Es war ein wolkenloser Abend mit einer Kälte, die einem bis in die Nebenhöhlen drang und in der der Atem in Wolken vor dem Mund verdampfte. Roses Augen tränten, wodurch der Umriss der mondbeschienenen Hecke scharf und klar hervortrat. Klarheit, dachte sie, genau das brauche ich heute Abend. Ich muss nur darauf achten, dass alles klar bleibt.
Sie schlenderten die Straße entlang, und Rose hakte sich bei Gareth unter. Er sprach über den Nachthimmel und darüber, wie die Bäume sich auf der Linie des Horizonts abzeichneten. Sie hörte ihm gern zu.
Einen Augenblick blieben
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