Angstpartie - Thriller
geben, Charles, und du darfst nicht ewig allein bleiben. Denk daran, du bist noch jung.«
»Das nun nicht gerade«, widersprach er mit belegter Stimme.
Unbeirrt redete sie weiter. »Ich möchte gern das Gefühl haben, dass du dich an unsere glücklichen Zeiten erinnerst, dass du an den Spaß denkst, den wir zusammen hatten. Aber, Charles, das Leben geht weiter, und es möchte gelebt werden. Wenn ich eins in den letzten Jahren gelernt habe, dann das. Ich will nicht, dass du mit einem Gespenst weiterlebst, Charles.« Sie beugte sich zu ihm hinüber. Ihr Rücken schmerzte dabei so sehr, dass sie Mühe hatte, nicht aufzustöhnen. Sie sah in seine Augen. »Versprichst du mir das?«
Diesmal erwiderte er ihren Blick, denn er spürte, dass sie es brauchte. Joanne stellte fest, dass seine Augen feucht waren. Charles blinzelte ein paarmal, versuchte die Tränen zu unterdrücken. »In Ordnung«, flüsterte er schließlich. »Versprochen.«
Joanne lehnte sich fröstelnd zurück. »Mir ist so kalt. Würde es dir etwas ausmachen, wenn wir jetzt hineingehen?«
38
Zum Glück war sie endlich weg. Die Frau loszuwerden, war nicht leicht gewesen, und ihr Besuch hatte ihn extrem nervös gemacht. Sie hatte durchblicken lassen, dass sie irgendetwas wusste. Hatte der MI5 das Geheimnis entdeckt, das er seit zehn Jahren hütete? Aber warum hatte sie dann immer wieder nach den syrischen Nachrichtendiensten gefragt? Oder war das nur ein Ablenkungsmanöver gewesen?
Seit jenem Tag, an dem die beiden Männer in sein Hotelzimmer in Jerusalem gekommen waren, lebte er in ständiger Angst. Diesen Besuch hatten sie ihm lange vor seinem Coming-out abgestattet, lange bevor er offen zugegeben hatte, dass er schwul war. Damals war er noch verheiratet gewesen. Mit Hope, seiner Freundin aus Uni-Zeiten. Die Fotos, die die Männer ihm vorlegten, zeigten ihn im Bett mit einem Jungen, den er in einem Club kennengelernt hatte. Sofort war ihm klar, dass der Junge für diese Leute arbeitete und dass man ihn in eine Falle gelockt hatte. Die beiden Typen waren vom israelischen Geheimdienst. Sie drohten, die Fotos zu veröffentlichen, falls er nicht kooperierte, und dafür zu sorgen, dass er nie mehr im Nahen Osten arbeiten konnte. Das hätte ihn den Job und seine Ehe gekostet. Bilder wie diese waren heutzutage fast belanglos, doch nach allem, was inzwischen geschehen war, hatten ihn die Israelis am Haken.
Damals hatte er als Korrespondent in Syrien gearbeitet. Und der israelische Geheimdienst interessierte sich für alles, besonders für delikate Details über hochrangige syrische Offizielle: für deren Schwächen, deren sexuelle Vorlieben - Dinge dieser Art. Offenbar wollten die Israelis Druckmittel haben, so wie bei ihm.
Und nun hatte der MI5 etwas herausgefunden, aber diese Frau verriet ihm nicht, was es war. Falls ihr Besuch bedeutete, dass die Syrer wussten, was er in all den Jahren getan hatte, war seine Lebenserwartung drastisch gesunken. Die Frau hatte ihn fast zu Tode geängstigt - und ihn dann doch im Dunkeln gelassen.
Er war jetzt besonders vorsichtig. Seit dem Gespräch mit ihr schloss er die Vorder- und Hintertür immer doppelt ab und sorgte dafür, dass die Fenster stets verriegelt waren. Er blieb zu Hause, ging nicht ans Telefon und zog die Gardinen zu. Aber so funktionierte das nicht ewig. Ein Einkauf im Hampstead Village hatte sich diesen Morgen nicht mehr aufschieben lassen. Der Kühlschrank war leer. Im Vorratsschrank gab es nicht einmal mehr ein Paket Nudeln.
Doch am Ende kaufte er gar nicht viel ein, denn er hatte beschlossen, sein Haus zu verlassen, bis die größte Gefahr vorbei war. Gleichzeitig fragte er sich, woher er wissen sollte, wann er beruhigt zurückkehren konnte. Nachdenklich ging er am Rand der Heide zurück zum Haus. Morgens um diese Zeit tummelten sich hier Hundesitter sowie Kindermädchen, die Babys spazieren schoben.
Wohin sollte er gehen? Er konnte sich bei einer Zeitung einen neuen Auftrag besorgen - vorausgesetzt, der MI5 vereitelte das nicht. Was er brauchte, war eine Recherche, für die er ins Ausland musste. Den Leuten bei der Sunday Times hatte seine Reportage über Assad gefallen, sie wollten weitere Geschichten dieser Art. Ganz oben auf der Liste stand ein Bericht über die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Aber bei dieser Art Recherche war es unmöglich, abzutauchen. Er musste in Berlin mit Offiziellen sprechen, sich einen Termin bei der Kanzlerin besorgen, ihre Freunde und Kollegen interviewen und ihren
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