Angstschrei: Thriller
noch einmal vor seinem geistigen Auge ablaufen. Es war ein heißer, stickiger Tag Ende August gewesen, und McCabe und sein Partner Dave Hennings hatten bis spät in die Nacht versucht, zwei siebzehnjährigen Cracksüchtigen, die um zehn Uhr morgens mit gezückten Schusswaffen in eine chemische Reinigung gestürmt waren und den Ladenbesitzer erschossen hatten, ein Geständnis zu entlocken. Es hatte zwar fast den ganzen Abend gedauert, aber irgendwann hatte McCabe schließlich die Geständnisse gehabt, die sie brauchten, um die beiden hinter Schloss und Riegel zu bringen.
Gegen Viertel nach eins in der Nacht war McCabe schließlich in seine Wohnung in der West Seventy-first heimgekommen, verschwitzt und müde. Das klitschnasse Hemd klebte ihm am Rücken. Kaum hatte er die Tür aufgemacht, umfingen ihn kühle Luft und der unverwechselbare Duft von Sandys fiebriger Erregung. Gedämpftes Licht. Die Klimaanlage auf vollen Touren. Miles und Coltrane lieferten bereits die passende Hintergrundmusik. Sandy lehnte an der Wand im Flur, nur mit einem seidenen Negligé bekleidet. Das Licht aus der offenen Schlafzimmertür umspielte die Silhouette ihres Körpers. Sie war schon immer eine Meisterin der provokanten Lichtverhältnisse gewesen. Hätte wahrscheinlich damit Karriere machen können. McCabe witzelte manchmal im Stillen, dass Sandy für den Sex das war, was Shakespeare für die Tragödie und Michelangelo für Kapellendecken waren. Ein wahres Genie. Das Maß aller Dinge. Die Vollendung.
Sie führte ihn ins Schlafzimmer und half ihm aus seinen Kleidern. Dann wusch sie seinen ganzen Körper mit einem kühlen, feuchten Tuch ab. Als sie damit fertig war, ließ sie das Negligé fallen, kniete sich vor ihn und nahm ihn in den Mund. Sie brachte ihn fast bis zur Explosion, wartete ein paar Sekunden und wiederholte dann das Spiel. Schließlich schob sie ihn zum Bett, setzte sich auf ihn und führte ihn in sich hinein. Der Sex mit Sandy war immer gut. Oft sogar großartig. Und dieses Mal gehörte zu den absoluten Höhepunkten. Jetzt, wo er wusste, was danach folgen sollte, fragte er sich, ob es vielleicht als eine Art Abschiedsgeschenk gedacht gewesen war. Etwas, woran er sich erinnern und wonach er sich sehnen konnte, wenn sie nicht mehr da war. Wenn ja, dann hatte es funktioniert. Erst gestern Nacht, in Lainie Goffs Wohnung, hatte er endlich den Bann gebrochen. Zumindest hoffte er das.
Er dachte daran, wie sie, als sie fertig waren und er vollkommen erschöpft dagelegen hatte, aus dem Bett geschlüpft und sich an die Frisierkommode gesetzt hatte. Dort hatte sie sich, immer noch nackt, im Spiegel betrachtet und irgendwann angefangen, sich das Gesicht mit einer Creme einzureiben. Noch bevor sie damit fertig war und alle weißen Cremestreifen eingezogen waren, sagte sie leichthin und fast wie nebenbei, mehr zu ihrem Spiegelbild als zu ihm: » Peter Ingram hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten will.«
McCabe gab keine Antwort. Es kam nicht unerwartet. Und es war ihm eigentlich auch egal.
» Ich habe Ja gesagt«, meinte sie.
McCabe blieb immer noch stumm. Wartete auf den nächsten Schlag.
Sie wandte sich wieder dem Spiegel zu und verteilte die restliche Gesichtscreme. » Die Hochzeit findet in Peters Haus in East Hampton statt, sobald die Scheidung durch ist«, sagte sie zu seinem Spiegelbild.
Das war nicht der Schlag, auf den er gewartet hatte. » Was ist mit Casey?«, fragte er schließlich.
» Casey?«
» Ja. Du kannst dich doch noch an Casey erinnern? Unsere Tochter? Die hinter dieser Wand da liegt und hoffentlich schläft? Was wird aus ihr?«
Sandy ging auf seinen Sarkasmus nicht ein. » Sie bleibt hier«, sagte sie. » Bei dir.« Dann endlich drehte sie sich um und blickte ihm direkt ins Gesicht. » Ich gehe davon aus, dass du dich darüber freust. Sie war ja schon immer die Einzige von uns beiden, an der dir wirklich etwas liegt.«
Das stimmte nicht ganz. Einst hatte er Sandy geliebt. Auch wenn er nicht mehr genau wusste, warum eigentlich.
» Dann beanspruchst du also nicht das Sorgerecht?«
» Nein, McCabe, das tue ich nicht. Du kannst deine kleine Prinzessin ganz für dich alleine haben. Peter hat keine Lust, die Kinder anderer Leute aufzuziehen.«
Die Kinder anderer Leute? Die Beiläufigkeit dieses Satzes erboste ihn genauso sehr wie der Inhalt. Ein achtlos weggeworfenes Stück Sperrmüll aus einem Leben, das ihr nicht mehr länger gefiel. Mehr nicht. McCabe betrachtete sie im Spiegel, und ihm wurde klar, dass er
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