Angstschrei: Thriller
ins Genick, bei dem das Rückenmark zerstört wird. Das ist eine der wenigen Verletzungen, die buchstäblich den unmittelbaren Tod zur Folge haben. Das Opfer sackt in sich zusammen wie eine Marionette.«
» Und wenn man die falsche Stelle trifft?«
» In diesem Fall ist das Ergebnis eine stark blutende und unter Umständen nicht tödliche Wunde.«
» Dann besitzt der Täter also anatomische Kenntnisse.«
» Ja. Wenn es nicht einfach nur Glück gewesen ist, dann weiß er zumindest über die Auswirkung einer solchen Verletzung Bescheid. Allerdings, wenn das Opfer bewegungsunfähig gemacht wurde, und darauf deutet doch einiges hin, dann ist es ziemlich einfach, das Messer genau an der richtigen Stelle einzustechen.«
» Und du bist sicher, dass das die Todesursache war?«
» So sicher wie eben möglich ohne Obduktion, und die kann ich erst durchführen, wenn sie aufgetaut ist. Das dauert noch mindestes drei bis vier Tage. Wahrscheinlich eher eine Woche.«
» Eine Woche? Meine Güte. Geht das nicht schneller?«, schaltete sich Maggie ein. » Wie wär’s, wenn wir sie in eine Wanne legen und unter fließendem Wasser auftauen? Das hat meine Mutter mit den Tiefkühlhühnchen immer so gemacht.«
» Bedauerlicherweise ist sie aber kein Hühnchen. Wenn wir sie zu schnell auftauen, beschädigen wir das Gewebe. Sie fängt dann außen schon an zu verwesen, während die inneren Organe noch gefroren sind. Etliche Untersuchungen sind dann gar nicht mehr möglich. Außerdem spült das Wasser unter Umständen Indizien weg, die sich am oder im Körper befinden. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als zu warten.«
» Eine Woche?«
» Bis sie vollständig aufgetaut ist, ja. Wir legen sie im Labor ins Kühlfach, und bei konstanten 3,3 Grad Celsius dauert es ungefähr eine Woche. Dadurch wird der Verwesungsprozess so weit wie möglich minimiert, und wir erfahren mehr über die genaue Todesursache und den Täter. Das ein oder andere können wir aber mit Sicherheit schon deutlich feststellen.«
» Was denn zum Beispiel?«
» Nun ja, die Körperoberfläche kann ich praktisch sofort untersuchen, und ihre Fingernägel kann ich auch abschneiden. Es könnte ja sein, dass sie ihren Angreifer gekratzt hat. Falls irgendwo Haare oder Speichel oder Hautzellen kleben, die nicht von ihr stammen, dann finden wir sie. Und in ungefähr einem Tag müssten ihre Gliedmaßen zumindest so beweglich sein, dass ich einen Abstrich machen und nach Spermaspuren suchen kann.« Selbst bei der Aufzählung dieser eher gruseligen Einzelheiten klang Terris Stimme fröhlich. Sie war einer der Menschen, die ihre Arbeit liebten. Den Geheimnissen der Toten auf der Spur, so hätte man es wahrscheinlich in einer dieser Wissenschaftsshows im Fernsehen formuliert. McCabe fand es ziemlich merkwürdig, dass man auf dem Gebiet der Kriminalpathologie Spaß und Befriedigung empfinden konnte, aber vermutlich war das genau der Grund, weshalb Terri so gut war.
Sie wandte sich wieder ihrer Aufgabe zu, ging in die Knie, richtete den Strahl ihrer Lampe auf das Gesicht der Unbekannten und rief dann laut: » McCabe?«
» Ja?«
» Sie hat da was im Mund.«
» Was denn?« McCabe schob sich erneut neben Terri und schaute auf die Stelle, die sie anleuchtete. Lippen und Zähne der Unbekannten waren leicht geöffnet. Hinter den Zähnen konnte er schwach etwas Weißes erkennen. Das war ihm vorhin entgangen.
» Sieht aus wie Papier«, meinte Terri.
» Ein Knebel?«, überlegte Maggie.
» Ich glaube nicht«, erwiderte McCabe. » Dann wäre es doch eher zusammengeballt. Es sieht aber gefaltet aus. Vielleicht ein Zettel? Womöglich hat der Mörder uns eine Art Botschaft hinterlassen. Kannst du es rausziehen?«
» Ich weiß nicht. Ihr Kiefer ist festgefroren. Da sind höchstens ein paar Millimeter Platz. Ich werd mal versuchen, es mit einer Pinzette irgendwie rauszufummeln.«
» Aber müsste das Papier nicht auch gefroren sein?«, wollte Maggie wissen.
» Dazu müsste der Mund sehr feucht gewesen sein, als der Zettel reingesteckt wurde, aber vielleicht war er das auch. Durch Speichel oder, falls die Verwesung bereits eingesetzt hatte, durch Leichenflüssigkeit.«
Terri wühlte in ihrer Tasche herum und holte ein Instrument hervor, das wie eine sehr feine Pinzette mit winzigen, stumpfen Zinken an den Enden aussah. Sie schob die Enden zwischen die leicht geöffneten Lippen der Unbekannten, bekam das Papier zu fassen und zog vorsichtig daran. Es rührte sich nicht von der Stelle. »
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