Angstschrei: Thriller
befürchtete, dass er drauf und dran war, einen Nervenzusammenbruch zu erleiden. Wolfe jedoch erklärte ihm, dass es sich lediglich um die Nachwirkungen einer extremen Stressphase in Kombination mit seinen Ängsten bezüglich des Wiedersehens von Casey und Sandy handelte. Er verschrieb ihm Xanax-Tabletten, die auch zu helfen schienen, und obwohl Wolfe ihm empfahl, die Therapie fortzusetzen, entweder bei ihm oder bei jemand anderem, beschloss McCabe, es dabei zu belassen. Mehr wollte er gar nicht wissen.
» McCabe. Alles in Ordnung?«
» Ja. Bestens.«
» Du siehst aber nicht bestens aus.« Maggie stand direkt hinter ihm. Nur eine schnelle Bewegung, und sie wäre ins Wasser gefallen. Erneut spürte er ihre Hand an seiner Schulter. » Kannst du mit mir reden?« Sie sprach mit ihrer sanften Stimme. Die so effektiv war bei Verhören. Die bösen Buben fielen reihenweise darauf herein. » McCabe?«
Er gab keine Antwort. Stattdessen untersuchte er die Leiche noch einmal ganz genau, ließ den Strahl der Lampe zum Abschluss ihr Bein entlanggleiten, suchte nach dem kleinen Muttermal auf der Außenseite ihres Knies. Es war nicht da. Zumindest konnte er es nicht sehen.
Nein, das war nicht Sandy. Jetzt war er sich sicher. Es war nur eine Frau, die ihr ähnlich sah. Zum Beweis und auch, um die leise Stimme des Zweifels in seinem Kopf ruhigzustellen, zog er sein Handy hervor und wählte ihre Nummer in New York. Es klingelte. Einmal. Zweimal. Viermal. Hallo. Sie haben den Anschluss der Ingrams gewählt. Sandy und Peter. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht, wir rufen so bald wie möglich zurück.
» Sandy, ich bin’s, McCabe. Ruf mich an, sobald du kannst. Es ist wichtig.« Dann– es fiel ihm gerade noch ein– setzte er hinzu: » Ach so, es hat nichts mit Casey zu tun. Ihr geht’s gut.« Er drückte die Auflegetaste, rief dann in ihrem Haus in East Hampton und danach auf ihrem Handy an. Immer das Gleiche. Er hinterließ jedes Mal eine Nachricht.
Nein, sagte er sich erneut. Das ist nicht Sandy. Sandy ist gesund und munter in New York unterwegs. Es war Freitagabend, da gingen sie und ihr Krösus von Ehemann wahrscheinlich ins Theater. Wir bitten alle Anwesenden im Saal, ihre Mobiltelefone für die Dauer der Vorstellung auszuschalten. Recht herzlichen Dank. Vielleicht lagen sie auch zu Hause vor dem offenen Kamin in ihrer Wohnung in der West End Avenue und gingen nicht ans Telefon, weil sie gerade anderweitig beschäftigt waren. Er stellte sich Sandy beim Sex mit Ingram vor. Ohne Vorwarnung veränderte sich das Bild, und es war nicht mehr Ingram, der da umhüllt von Sandys vertrautem Duft und dem Gefühl ihres nackten Körpers auf dem Boden vor dem Feuer lag. Es war McCabe, der wieder und wieder in sie stieß, übermannt von wildem, wogendem Verlangen. Es versetzte ihm einen Schock, als er merkte, wie sehr er sie immer noch begehrte. Und gleichermaßen schockiert war er darüber, wie sehr er sie hasste. Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf: Vielleicht war das Bedürfnis, Sandys Geist ein für alle Mal zu vertreiben, der wahre Grund dafür, warum er Kyra zu einer Heirat drängte, zu der sie noch nicht bereit war. Damit musste er sich unbedingt auseinandersetzen. Dieses Problem musste er angehen. Er liebte Kyra viel zu sehr, als dass er sie zu so etwas hätte benutzen wollen. Vielleicht sollten sie sich für eine Weile nicht mehr sehen. Zumindest so lange, bis er den Exorzismus vollzogen hatte. Was wohl ein Therapeut wie Wolfe dazu sagen würde? Ob er überhaupt mit Wolfe darüber reden könnte? Vielleicht würde er es tun. Aber ganz bestimmt würde er mit niemand anderem darüber reden.
So plötzlich, wie es angefangen hatte, war es auch wieder vorbei. Sogar die leise Stimme in seinem Kopf hatte akzeptiert, dass es sich bei der Frau im Kofferraum nicht um Sandy handelte. Sie war eine Doppelgängerin und hörte höchstwahrscheinlich auf den Namen Elaine Elizabeth Goff. Ja, die Ähnlichkeit war in der Tat verblüffend, aber mehr als eine Ähnlichkeit war es auch nicht. Maggie stand immer noch hinter ihm, eine Hand auf seiner Schulter. » Alles in Ordnung«, sagte er.
» Ich frage dich gar nicht erst.«
Einmal mehr richtete McCabe die Lampe auf die Leiche im Kofferraum. Dieses Mal suchte er nicht nach Muttermalen, sondern nach Indizien. Nach etwas, das ihm verraten konnte, wer diese Frau ermordet hatte. Wie es geschehen war. Er bemerkte rötliche Verfärbungen an dem Handgelenk und dem Knöchel, auf denen sie nicht lag. Das
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