Angstschrei: Thriller
lächelte erneut. Lächeln konnte man schließlich nie zu viel, dachte sie sich. Dann ging sie zum Kaffeeautomaten, zog die Handschuhe aus, befestigte sie am Jackensaum und nahm sich einen Pappbecher in der kleinsten der drei verfügbaren Größen. Nachdem sie den Becher in Position gebracht und einen Kakao ausgewählt hatte, sah sie zu, wie dampfend braune Flüssigkeit in ihren Becher tropfte.
» Wahrscheinlich nicht«, pflichtete die Frau ihr bei und warf einen Blick zum Fenster hinaus. » Sieht auch nicht so aus, als würde es demnächst mal aufhören.«
Abby setzte einen Plastikdeckel auf ihren Becher und drückte ihn fest, bis er klickend eingerastet war. Dann ging sie zurück zum Tresen. Der Becher war heiß. Sie nahm ihn abwechselnd in die eine und in die andere Hand, ließ ihre Finger auftauen und genoss die Wärme.
Die Frau deutete mit dem Arm auf einen autoförmigen Schneehügel vor dem Fenster. » Das da ist meiner. Hoffentlich komme ich nachher gut nach Hause.«
» Hoffentlich«, erwiderte Abby und stellte den Becher auf den Tresen.
» Das wär’s?«
Anny nickte.
» Das macht dann einen Dollar achtundfünfzig.«
Abby zählte den Betrag auf den Cent genau von ihren siebzehn Dollar dreiundsechzig ab, lächelte noch einmal und machte sich auf den Weg zur Toilette. Sie stellte die heiße Schokolade auf den Waschbeckenrand, verriegelte die Tür, pinkelte und wusch sich die Hände. Sie war überrascht, wie sehr das warme Wasser auf ihrer durchgefrorenen Haut prickelte. Eine Minute lang starrte sie ihr Ebenbild im Spiegel an. Die vergangenen drei Tage hatten ihren Tribut gefordert. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen. Ihre Haare sahen fettig aus. Fast schon ein Wunder, dass die Frau nicht mehr Angst vor ihr gehabt hatte, nachdem sie die Maske abgenommen hatte.
Den großen blonden Typen, der im Laden stand, als sie aus der Toilette kam, registrierte sie bloß mit halbem Auge und auch nur deshalb, weil all ihre Sinne in Alarmbereitschaft waren. Er stand in der Lebensmittelabteilung und tat so, als würde er die Plastikbecher mit Rindergulasch und Fertignudelgerichten für die Mikrowelle studieren. Sein Blick folgte ihr, als sie an ihm vorbei zum Zeitungsständer ging. Sie griff sich eine der Gratiszeitungen, die West End News, und tat so, als würde sie lesen. Der Typ beobachtete sie immer noch. Er war nicht nur groß. Er war riesig. Eins fünfundneunzig, wenn nicht noch mehr. Dicker Hals und breite Schultern. Er trug eine Jeans und eine Holzfällerjacke. Sie wandte sich wieder ihrer Zeitung zu und nippte bedächtig an ihrer heißen Schokolade, während sie überlegte, was sie jetzt machen sollte. Raus in die Kälte konnte sie noch nicht. Dieser eine Becher musste so lange halten, bis sie wieder richtig warm geworden war. Aber er machte sie nervös. Sie warf ihm noch einen Blick zu. Er lächelte. Wenigstens war es ein freundliches Lächeln. Kein anzügliches. Schnell wandte sie den Blick ab. Scheiße, jetzt kam er zu ihr rüber. Benimm dich ganz normal, dachte sie. Nicht schwach werden. Ihr Herz hämmerte. Sie hörte, wie die Stimmen sich langsam aus dem Schlaf erhoben. Hier kommt der TOD , sagte eine. Er sah allerdings nicht so aus wie der TOD . Zumindest nicht wie der TOD im Schlafzimmer der Markhams.
» Alles in Ordnung?«, sagte er, als er vor ihr stand, den Arm voller Fertignudeln. » Sie sehen ein bisschen nervös aus.«
Sag ihm, er soll sich ins Knie ficken, sagten die Stimmen. Sag ihm, er soll seinen dicken, fetten Schwanz in seinen dicken, fetten Arsch stecken.
» Ja. Nein. Ja«, sagte Abby. Die Worte kamen viel zu wirr aus ihrem Mund. » Alles in Ordnung.« Ihr wurde bewusst, dass sie den Kopf in den Nacken legen musste, um ihn anzuschauen. Als würde sie zur Spitze des Observatoriums hochschauen. Oder des Empire State Building. » Alles in Ordnung«, wiederholte sie. » Mir geht’s bestens.« Sie redete immer noch viel zu schnell. Zu laut. Sie musste sich unbedingt bremsen. Sie holte tief Luft. » Ich bin bloß unterwegs zu meiner Freundin«, sagte sie dann. Na also. Das war schon besser.
» Zu Fuß? Bei dem Wetter. Sind Sie verrückt?«
Die Stimmen gackerten. Sie hielten das für einen prima Witz. Abby schloss die Augen. Sie würde sie nicht beachten. » Es ist nicht weit«, sagte sie. » Gleich drüben in der…« Sie überlegte so angestrengt, wie sie nur konnte, und plötzlich war er da. Der Name der Straße. » Gleich drüben in der Summer Street.« Ja. Summer Street. Wo sie im
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