Angstschrei: Thriller
Ding auf sich zukommen. Einen schwarzen Umriss, ab und zu im dichten Schneetreiben zu erkennen und dann wieder nicht. Das Ding wurde mit jedem Schritt deutlicher und größer. Auf sechs, sieben Meter Entfernung nahm es langsam Gestalt an. Ein Tier. Kein Mensch. Ein großer Hund, das graue Fell voller glitzernder Schneekristalle, mit grausamen, eisigen Augen, die in der Nacht leuchteten, mehr Wolf als Hund. Sie blieb stehen, doch das Tier kam immer näher. Sie konnte sein grollendes Knurren hören. Tief. Drohend. Gebieterisch. Ihr Herz schlug so heftig gegen ihre Rippen, dass sie sicher war, es würde ihr aus der Brust herausspringen. Sie wusste, was das Tier wollte. Sie ließ sich auf Hände und Knie nieder. Es entblößte Reißzähne, die lang genug und spitz genug waren, um das weiche Fleisch an ihrem Hals zu durchdringen. Sie senkte den Kopf und wartete auf Erlösung… doch die Erlösung kam nicht. Schließlich, nach ein, zwei Minuten, hob sie den Blick, und die Kreatur war verschwunden. Bis auf die schneebedeckte Straße und die umherwirbelnden Schneeflocken, die nach wie vor vom nächtlichen Himmel herabtaumelten, war nichts zu sehen. Sie blieb, wo sie war, kniend im Schnee. Sie hörte ein Kind weinen und lauschte. Nach einer Weile wurde ihr klar, dass die Laute aus ihrer eigenen Kehle kamen. Sie stand auf und setzte sich wieder in Bewegung.
Sie schlang die Arme um ihren Körper und versuchte sich warm zu rubbeln. Sie trug immer noch die Laufkleidung, die sie am Dienstagabend angezogen hatte. Nachdem sie von dem Polizisten nach Hause gebracht worden war, hatte sie sich nicht mit Umziehen oder Zähneputzen oder gar mit Waschen aufgehalten. Sie wusste ja nicht, wann der TOD vor ihrer Tür stehen würde. Also hatte sie nur die siebzehn Dollar und dreiundsechzig Cent aus ihrer Schreibtischschublade in die eine und das Portemonnaie mit dem Führerschein und der so gut wie ausgereizten Visa-Karte in die andere Tasche gesteckt und war losgerannt. Das Handy befand sich neben der Zyprexa-Flasche in ihrer Gürteltasche, aber der Akku war leer, und das Ladegerät lag in ihrem Zimmer zu Hause auf der Insel. Dämlich. Aber darum konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Sie wusste nur, dass sie unbedingt zu Leanna musste. Wenn sie doch nur das Häuschen finden würde. Sie stellte sich eine heiße Dusche vor. Gott, das wäre der Himmel auf Erden. Bei Leanna angekommen würde sie eine heiße Dusche nehmen.
Ein Stück weiter vorne, den Hügel hinauf, sah sie die Lichter eines kleinen, rund um die Uhr geöffneten Supermarktes in der Congress Street. Sie war sicher, dass sie schon zweimal daran vorbeigekommen war. Aber dieses Mal würde sie reingehen, sich aufwärmen und versuchen herauszufinden, wo Leanna wohnte und wie sie am besten dorthin kam. Ein Schwall behaglich warmer Luft schlug ihr entgegen, als sie die Tür öffnete. Die Frau hinter dem Tresen mampfte M&Ms aus einer von diesen großen Familienpackungen und hatte den Blick auf einen kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher gerichtet. Als Abby näher kam, erstarrte sie. Rührte sich nicht vom Fleck. Saß einfach nur da und blickte sie aus entsetzt aufgerissenen Augen an. Abby fuhr herum, in der Erwartung, den TOD direkt hinter sich stehen zu sehen, aber da war er nicht. Da war gar nichts.
» Was wollen Sie?«, sagte die Frau mit zitternder Stimme. » Wir haben nicht viel Bargeld hier.«
Abby rätselte über die Bedeutung dieser Worte, bis sie endlich dahinterkam. Sie trug ja immer noch die Spider-Man-Maske. Hastig zog sie sie zusammen mit der Skimütze vom Kopf und stopfte beides in ihre Tasche. Dann fuhr sie sich mit der Hand durch die platt gedrückten Haare und zwang sich zu einem Lächeln. » Ist ganz schön kalt da draußen.«
» Mein Gott, Mädchen. Du hast mich beinah zu Tode erschreckt. Warum, zum Teufel, läufst du denn mit diesem Ding im Gesicht rum?« Die Frau schien sich ein wenig zu beruhigen. » Hat nicht viel gefehlt, und ich hätte auf den Alarmknopf gedrückt.« Sie holte tief Luft, entspannte sich noch ein wenig mehr. » Kalt ist es, das stimmt«, sagte sie dann. » Schon an die fünfzehn Grad minus.« Nach einigen Sekunden fügte sie hinzu: » Es heißt, wir kriegen über dreißig Zentimeter.«
Sei ganz normal, sagte sich Abby. Bloß keine Verrücktheiten jetzt. Nicht hier. Sie nickte, als hätte sie über die Bemerkung der Frau nachgedacht und würde ihr nun, nach reiflicher Überlegung, zustimmen. » Da fehlt wahrscheinlich nicht mehr viel.« Abby
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