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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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nicht.«
    »Klang sie immer noch so glücklich?«
    »Glücklich, aber vor allem entspannter. Ich hatte das Gefühl, dass sie endlich zu Hause ist. Deine Mutter war vorher irgendwie wohl immer auf der Suche.«
    Sie macht eine Pause.
    »Komisch eigentlich. Da habe ich so lange nicht an euch gedacht und jetzt in kurzer Zeit gleich zwei Mal.«
    Im ersten Moment denke ich, sie meint meinen zweiten Besuch. Dann frage ich nach.
    »Wieso zwei Mal?«
    »Ich habe vor einiger Zeit mit dem Junior-Doktor über euch gesprochen. Er war gerade hier, als ein Bericht über Zwillinge im Radio lief. Wie groß die genetische Seelenverwandtschaft ist und so. Ich glaube, dass das mit den Genen nichts zu tun hat. Das habe ich irgendwie erwähnt und so kamen wir auf dich und Luise.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Ich glaube, ihr seid seelenverwandt. Zwillinge im Geist. Obwohl ihr eben genetisch nicht verwandt seid.«
    Mein erster Gedanke ist: Ein Arzt aus dem Seniorenwohnstift wird wohl kaum mein persönlicher Feind sein. Und mein zweiter Gedanke ist: Sind Luise und ich seelenverwandt? Oder sind wir uns nur ähnlich geworden? Wie alte Ehepaare sich im Laufe der Zeit angleichen?

    Als ich nach Hause komme, schält meine Mutter gerade Kartoffeln. Sie ist dabei wohl ziemlich in Gedanken. Sie hat mindestens schon zwei Kilo geschält.
    »Erwarten wir Besuch?«, frage ich sie.
    Sie schreckt aus einer Trance hoch. »Mist. Ich war irgendwie in Gedanken. Was sollen wir jetzt damit machen?«
    »Wir haben lange keinen Kartoffeldruck gemacht. Wir können ein Kilo essen, mit dem anderen alle Tischdecken und Betttücher verzieren«, schlage ich vor.
    Sie lacht befreit. »Du bist meine Tochter«, gluckst sie und erschrickt in der nächsten Sekunde.
    Vor ein paar Tagen noch wäre das ein ganz normaler Satz gewesen. Jetzt hat er eine andere Schwere.
    Ja, ich bin ihre Tochter.
    Luise ist es nicht.
    Hat meine Mutter wohl Unterschiede zwischen uns gemacht? Mir ein paar Gummibären mehr in die schwitzenden Händchen gedrückt?
    Werden diese Zweifel jetzt immer mein Begleiter sein?
    Und wenn meine Mutter mich wirklich bevorzugt hätte, wie finde ich das? Bin ich deshalb froh? Oder wütend auf sie? Tut mir Luise leid? Hat Luise dagegen ein paar mehr Gummibärchen von ihrem Vater bekommen? Hält sich unterm Strich also alles die Waage?
    Auch die Liebe?
     
    Ich bin auf der Flucht vor Luise. Es ist fast, als würden wir Fangen spielen. Wie früher. Da hat sie mich immer gekriegt. Mittlerweile kenne ich bessere Verstecke.
    Luise sucht meine Nähe. Sie will mit mir reden. Über so vieles. Ich will das nicht. Ich schließe mich im Klo ein, stelle mich schlafend. Ich verstecke mich hinter Büchern, schwafele was von »Referat«. Manchmal schafft sie es doch. Dann kuschelt sie sich an mich, killert meinen
Rücken, steckt mir eine ihrer Locken ins Ohr - wie früher. Ganz selten kann ich das genießen. Wenn sie morgens unter meine Decke schlüpft, während mein Kopf noch schläft, dann sauge ich das Gefühl auf. Bis das Licht in meinem Kopf angeschaltet wird. Das Wissen da ist. Die Fragen sich durch meine Organe bohren. Die Kälte in mir aufsteigt und ich schnell sage: »Ich muss mal pinkeln.« Danach ist der Moment vorbei. Ich sehe, wie sehr ich sie verletze. Das schmeckt bitter. Dann muss ich kurz schlucken. Ich kann einfach nicht anders. Ich will keine Fotos von ihrer Mutter sehen. Nicht in Erinnerungen schwelgen, die plötzlich wie von Flutlichtern ausgeleuchtet werden. Ganz neue Schatten werfen. Hat sie wohl mal darüber nachgedacht, was passiert wäre, wenn sie vielleicht einen Tag später geboren worden wäre? Wenn ihre Mutter überlebt hätte? Unsere Eltern sich doof gefunden hätten? Wenn ich meine Mutter für mich alleine gehabt hätte? Wenn da nicht immer jemand gewesen wäre, um den sie sich auch kümmern musste? Wäre ich stärker geworden? Hätte ich mich mehr geliebt gefühlt?
    Ich mag diese Gedanken nicht. Aber sie schleichen wie vermummte Gestalten durch das besetzte Haus meines Kopfes.
     
    Und dann kann ich nicht mehr. Ich hatte mir am Morgen vom Arzt ein weiteres Attest geholt, war nicht in der Schule gewesen, saß den ganzen Tag nur hier, gefangen mit all den Gedanken. Jetzt ist mir, als plane ich einen Ausbruch. Ich eröffne das Abendessen mit dem Satz: »Ich muss hier raus.« Sechs Augen gucken mich überrascht, verletzt, flehend und fragend an. Ich ziehe die Notbremse. Wenn ich nicht völlig wahnsinnig werden will, muss was passieren. Um mich

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