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Angstspiel

Titel: Angstspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C. Bertelsmann
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unserer Mutter nicht lesbar?
    Und warum schickt mir jemand diese alten Kopien zu. Offenbar stammen sie von unserer Geburt. Wir sind im Städtischen Krankenhaus geboren.
    Es dauert ein bisschen, bis ich merke, was hier nicht stimmt.
    Kreißsaal 2. Kreißsaal 1.
    9.23 Uhr. 17.15 Uhr.
    Ich lege die Blätter weg. Sie brennen in meinen Fingern.
    Wie ferngesteuert gehe ich in unseren Vorratskeller. Da steht ein Kasten Bier. Ich nehme mir eine Flasche, finde in der Küche unten einen Öffner und trinke. Ich finde Bier ekelig. Es ist bitter. Es schäumt fies. Luise hat mal gesagt, dass sie von Bier immer total müde und lethargisch wird. Ich setze mich neben die Waschmaschine auf den Fußboden und trinke weiter. Und werde nicht die Spur lethargisch. Nur traurig. Erst. Nach der zweiten Flasche werde ich trotzig.
    Da schickt mir irgendjemand zwei dubiose Zettel und ich fange sofort Feuer? Meine Mutter hat sich da den ganzen
Tag über gequält, um Luise und mich rauszupressen, und ich finde das merkwürdig? Was soll das? Vielleicht brauchte sie nach der ersten Geburt eine kleine Pause und hat sich erst mal wieder in ihr normales Krankenzimmer gelegt. Danach ist sie dann einfach in einen anderen Kreißsaal gebracht worden. Oder sie wollte vielleicht in die Wanne. Ich habe mal gehört, dass ganz viele Frauen vor der Geburt gerne im Wasser entspannen. Und weil es vielleicht eine Wanne nur in dem anderen Kreißsaal gab, ist sie dahin gegangen. Oder gefahren worden. Was weiß ich. Ich rappele mich hoch. Wenn da irgendjemand meint, er könnte mich mit zwei so albernen Kopien schrecken, dann hat er sich getäuscht.
    In meinem Zimmer falte ich die Blätter ganz klein und schiebe sie unter meine Schreibtischunterlage.
     
    Die Fragen verstummen nicht. Am nächsten Morgen, als alle aus dem Haus sind und ich mich wieder ausruhen soll, gehe ich zum Bücherregal. Ganz unten stehen unsere Fotoalben. Es gibt unendlich viele Fotos von mir und Luise. Wir beide in unseren Bettchen im Krankenhaus. Wir beide in Mamas Arm. Ich auf Mamas Arm, Luise bei Papa. Eins sogar, wie Mama mich stillt. Auf einem sieht es so aus, als wolle Luise Papa in die Nase beißen.
    Ich habe das Gefühl, dass in mir ein Feuer kokelt. Nein. Kein Feuer. Ein Schwelbrand. Es glimmt nur. Aber meine Gedanken haben Angst, zu nah an die Hitze zu kommen. Zu nah an die falschen Fragen.
     
    Am Nachmittag kommt Luise mit den Worten »Das ist der Hammer« rein. In der Hand hält sie eine Dose mit was weiß ich.
    »Was ist der Hammer?«
    Nur mühsam kann ich mich von den Fotos reißen.

    »Was machst du da?« Sie beugt sich interessiert über mich. »Hach, waren wir nicht süß?«, flötet sie.
    Wir blättern zusammen weiter.
    Luise und Linda nackt in der Badewanne in einem Meer von gelben Gummienten.
    Luise und Linda nur mit Sonnenhut am Strand.
    Luise, die auf Papas Schultern durchs Meer reitet.
    Ich mit Mamas riesiger Sonnenbrille auf der Nase.
    Luise und Papa.
    Linda und Mama.
    Mir war vorher noch nie so aufgefallen, wie sehr wir uns unsere Eltern aufgeteilt haben.
    Ich blättere noch mal zurück. Auch auf den Bildern direkt nach der Geburt bin ich fast ausschließlich mit Mama zu sehen, Luise ist meist auf Papas Arm. Ich bleibe an seinem verliebten Blick hängen. Er guckt verträumt auf Luise hinunter, als er ihr ein Fläschchen gibt.
    Kann es sein, dass gar nicht wir uns unsere Eltern aufgeteilt haben, sondern sie sich uns?
    Luise zieht das nächste Album aus dem Regal. Das beginnt mit zwei kleinen Mädchen und zwei riesigen Schultüten. Es folgen Kindergeburtstage, wieder Urlaub am Meer, ein Wanderurlaub in den Bergen mit zwei schlecht gelaunten Töchtern, wieder Geburtstage, Weihnachten.
    Papa mit mir und Luise, Mama mit Luise, alle durcheinander. Die Ordnung hatte sich aufgelöst.
    Ich merke, wie ich traurig werde. Wie ich mich zurücksehne. Ich will ja nicht mehr an den Osterhasen glauben, nicht an den Weihnachtsmann, nicht an die Zahn- oder Schnullerfee. Aber glücklicher war ich zu der Zeit schon. Ich lasse das Gummiband unauffällig gegen die Innenseite meines Handgelenks schnacken. Mittlerweile nehme ich so dicke Gummis, wie man sie beim Einkochen von Marmelade und so benutzt.

    »Was war jetzt eigentlich der Hammer?«, frage ich Luise.
    Sie reißt die Dose hoch, die sie auf den Tisch gestellt hatte.
    »Spachtelmasse«, jubelt sie, als hätte sie ein Wundermittel gegen Pickel entdeckt. »Damit können wir die Wände unten ganz neu modellieren.«
    »Ich glaube nicht, dass

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